Penelope Williamson
zwischen ihr und Tyl. Ganz gleich,
ob sie sich entschloß, bei Nat und seinen Kindern zu bleiben, wie ihr Gewissen
es forderte, oder ob sie mit Tyl zurück in die Wildnis ging – ganz gleich, was
sie tat, sie würde unglücklich sein.
Sie konnte sich nicht vorstellen, den Rest
ihres Lebens ohne Tyl zu verbringen. Sie hatte einmal geglaubt, es genüge,
morgens mit der Hoffnung aufzuwachen, sein Gesicht an diesem Tag zu sehen. Aber
das war gewesen, bevor sie eines Morgens aufgewacht war und sein Gesicht auf
dem Lager neben sich gesehen hatte. Seine Augen, die noch schwer vom Schlaf
waren, hatten sie zärtlich gestreichelt, und sie hatte die Lippen auf seine
stachlige Wange gedrückt. Sie hatte sich gereckt und das angenehme Ziehen zwischen
den Schenkeln gespürt, die sanfte Erinnerung an die zurückliegende Nacht. Ein
Traum war für sie in Erfüllung gegangen. Tyl liebte sie und hatte sie zu seiner
Frau gemacht. Wie konnte sie auf dieses Glück jemals verzichten?
Und doch ...
Und doch war da Tildy. Sie stand vor dem Röhrchen und wartete
darauf, daß der Saft fließen würde. Sie machte große Augen, aber man sah ihr
die aufgeregte Spannung am ganzen Körper an. Gerade in diesem Augenblick fiel
der erste Tropfen in den Eimer, und sie jubelte: »Es läuft, Delia! Der Saft
läuft! Können wir jetzt Ahornbonbons machen?
»Geduld, mein Schatz«, sagte Delia lachend, während ihr eigentlich
nach Weinen zumute war. »Bis wir Bonbons machen können, wird es noch eine Weile
dauern.« Ihr Blick fiel auf Meg, und sie lächelten beide.
Megs Backen waren leuchtend rot wie zwei Äpfel, und ihre dunklen
Augen glänzten wie Kastanien. Der verkniffene Zug um den Mund war verschwunden.
Delia hatte Meg noch nie so glücklich, noch nie so zufrieden gesehen.
Die Kinder, dachte Delia. Wie soll ich es
ertragen, ihnen weh zu tun?
Sie blickte flußaufwärts zu der Lichtung, wo
Tyls Blockhütte gestanden hatte. Sie war sicher, daß er gerade in den Trümmern
suchte.
Trümmer, dachte sie, alles liegt in Trümmern. Die Häuser, unser
Leben, unsere Liebe.
Was sollen
wir nur tun?
Delia irrte
sich. Tyl war zehn Meilen von den Trümmern seiner Hütte entfernt. Er bewegte
sich geräuschlos mit nach innen gerichteten Zehenspitzen wie ein Indianer
durch den Wald. Er trug alles, was ihm auf der Welt geblieben war, bei sich –
seine Büchse, den Beutel für die Kugeln, das Horn für das Schießpulver, ein
Tomahawk und ein Jagdmesser. In einer kleinen Tasche, die über seiner Schulter
hing, befanden sich etwas zu essen und Ledersachen zum Wechseln. Seine
Heilkräuter, die Bücher und die meisten Instrumente waren im Feuer verbrannt,
aber was er aus der Asche gerettet hatte, trug er bei sich.
In seinem Herzen trug er die Erinnerungen.
Wenn ich dich nach dieser Nacht, nach diesem Augenblick auch nie
mehr haben sollte, wirst du die Frau in meiner Seele bleiben, die Hüterin
meines Herzens.
Die Worte waren ernst gemeint, als er sie in
ihrer Hochzeitsnacht ausgesprochen hatte, während sie vor seinem Wigwam standen
und das Nordlicht betrachteten. Aber er hatte nie geglaubt, daß er das so
schnell werde beweisen müssen oder daß es so schwer sein würde.
Am Anfang hatte er vor Angst, sich in sie zu verlieben,
beinahe den Verstand verloren. Dann hatte er seine Furcht überwunden und sie
geliebt. Aber am Ende hatte er sie verloren. Wenigstens war er aus eigenem
Entschluß soweit gekommen. Trotz seines Zorns und seiner Qual hatte er am Abend
zuvor an ihrem Gesicht gesehen, daß sie hin- und hergerissen wurde zwischen der
Liebe zu ihm und ihren Gefühlen für Nats Kinder. Da wurde ihm klar, daß er ihr
ein Geschenk machen mußte, das seiner Liebe zu ihr würdig war. Er konnte ihr
den Schmerz und die Qual einer schrecklichen Entscheidung abnehmen, indem er
diese Entscheidung für sie traf.
Er würde sie verlassen.
Im Augenblick ging er in nordöstliche
Richtung. Er folgte dem Lauf des Kennebec, denn wo die Sonne ungehinderter
durch die dichten Zweige der Bäume fiel, war die Schneedecke dünner. Ein
falsches Hochgefühl trieb ihn vorwärts, das von der Erleichterung kam, die
gefürchtete Entscheidung getroffen zu haben und sie in die Tat umzusetzen. Er
empfand auch Schmerz, aber sehr tief innen. Es war wie die Prellung an einem
Knochen und hämmerte dumpf unter der Oberfläche seines Bewußtseins. Bis sich
sein Zustand zur unerträglichen Qual gesteigert haben würde, hoffte Tyl, weit
genug weg zu sein, um der Versuchung zur Umkehr leichter zu
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