Penelope Williamson
geliehenen Ochsengespanns an, und die
Steinschleife kam zum Stehen. Delia stieg von dem flachen, kufenlosen Schlitten
und blickte hinüber zu den schwarzen Überresten des Schornsteins, der wie ein
ausgestreckter Finger zwischen verkohlten Balken und verbranntem Holz aufragte.
»Ich bin im Herbst mit dem Rechen
durchgegangen«, sagte Nat und wies in die Richtung, in die sie blickte. »Ich
habe ein paar Töpfe gerettet, aber das war auch ungefähr alles.«
»Hildegard hat überlebt!« rief Tildy. Sie
drückte die Indianerpuppe an die Brust und hüpfte vom Schlitten. »Hildegard
ist nicht verbrannt.«
»Aber nur, weil du sie an dem Tag, als die
Abenaki uns überfallen haben, zur Schule mitgenommen hast«, sagte Meg
mißmutig. »Ich wollte, ich hätte an meinen Kreisel gedacht.«
»Dein Papa wird dir einen neuen Kreisel schnitzen«, sagte Delia
und zwang sich zu lächeln. »Nicht wahr, Nat?«
Nat brummte. Delia blickte in sein hageres,
faltiges Gesicht, und zu ihrer Verzweiflung und dem schmerzlichen Gefühl des
Verlusts, die ihr an diesem schönen Frühlingsmorgen das Herz schwermachten,
gesellte sich Niedergeschlagenheit. Sie dachte traurig an Marys Sachen – die
Uhr, das Sticktuch und das Spinnrad. Das war alles gewesen, was Nat von Mary
und ihrer zehnjährigen Ehe geblieben war, und nun hatte er auch diese Dinge für
immer verloren.
Sie legte
ihm die Hand auf den Arm. »Es tut mir so leid, Nat.«
Er zuckte die Schultern und entzog ihr den
Arm. »Jetzt im Frühling kann das Haus wiederaufgebaut werden. Oberst Bishop
veranstaltet nächste Woche sogar eine Spendensammlung für uns.« Er ging
zurück zur Steinschleife und lud einen schweren Eisenkessel ab. »Bis dahin gibt
es noch viel Arbeit. Ich bereite alles vor, damit ihr mit dem Zuckersieden anfangen könnt. Meg, du nimmst die
Safteimer und die Röhren mit. Danach fange ich auf den Feldern an. Wie es
aussieht, hat die Erde in diesem Winter genug Steine ausgespuckt, um einen Wal
darunter zu begraben.«
Die Winterfröste brachten immer Steine und Felsbrocken an die
Oberfläche. Bevor die Arbeit auf den Feldern beginnen konnte, mußten die großen
Steine, wie die Farmer in Maine sagten, »fortgeschleift« werden. Die flachen
Steinschleifen glitten mühelos über die von der Schneeschmelze aufgeweichte,
nasse Erde, und sie waren besonders praktisch, um die Steine
abzutransportieren.
Die Zeit für das Ablesen der Steine fiel mit dem Zuckermachen
zusammen. Der Saft floß gerade richtig, um die großen Ahornbäume anzuzapfen, wenn es nachts kalt genug für
scharfe Fröste war und tagsüber so warm, daß es taute. Nat zeigte Delia
geduldig und hin und wieder sogar lächelnd, wie das gemacht wurde. Er suchte einen dicken Ahornbaum und bohrte den Stamm etwa
einen Meter über der Erde auf der Sonnenseite an. Danach schlug er eine
Röhre oder eine Rinne in das Loch und hängte an das Ende einen Eimer.
»Ich mache auf der Lichtung ein großes Feuer«, sagte Nat. »Wenn
die Eimer voll sind, kannst du sie mit den Mädchen auf dem Zugschlitten
hinüberfahren und den Saft in den Kessel schütten.« Er lächelte. »Es müßte
soviel Ahornsirup geben, daß man darin schwimmen kann.«
Delia versuchte, sein Lächeln zu erwidern,
aber es gelang ihr nicht.
Nat nickte. »Also dann ...« Er deutete mit der Hand unbestimmt
über seine Schulter. »Ich bin dort drüben, falls du mich brauchst.«
Delia nickte. Sie standen sich gegenüber, nickten und sahen sich
an, bis es Delia albern vorkam und sie sich abwandte.
Sie waren an diesem Morgen beide angespannt und verlegen, denn sie
hatten das Gespräch vom Abend zuvor nicht fortgeführt.
Als Delia von dem niederschmetternden Treffen mit Tyl zurückgekommen
war, hatte sie Nat nicht ansehen können. Und es war ihr erst recht unmöglich
gewesen, mit ihm über ihre Zukunft als Mann und Frau zu sprechen. Sie schützte
Übermüdung vor und zog sich auf die schmale, mit Heu gefüllte Matratze in einer
Ecke der Hütte zurück. Aber sie wußte, Nat waren ihre geröteten Augen und das
geschwollene Gesicht nicht entgangen und er mußte sich nach dem Grund dafür
gefragt haben. Doch zudringliche Neugier entsprach nicht seinem Wesen. Deshalb
schwieg er. Und sie schwieg ebenfalls.
Delias ganzer Körper schien an diesem Morgen vor Traurigkeit zu
schmerzen, und sie hatte ein hohles, leeres Gefühl im Magen wie ein Hunger, der
nie gestillt werden kann. Es war, als sei jemand gestorben, den sie sehr
liebte. Gestorben war die idyllische Liebe
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