Penelope Williamson
die Tür und führte
sie durch die Gaststube. Bis auf zwei alte Herren mit weiß gepuderten Perücken
und teuren schwarzen Anzügen, die vor einem offenen Kamin saßen und Backgammon
spielten, war der Raum leer. Einer der beiden murmelte etwas. Sein Gegenüber
griff nach einem großen Hörrohr und rief: »Was ist los, Feathergrew? Kannst du
nicht lauter sprechen!« Delia mußte sich das Lachen verkneifen.
Der Portier führte sie nicht die große breite Treppe nach oben,
sondern ging mit ihr durch die Küche und über die enge Dienstbotentreppe im
hinteren Teil des Hauses in den ersten Stock. Sie konnte nur ganz kurz einen
Blick auf einen mit dickem Teppich ausgelegten vertäfelten Gang werfen, ehe er
eine Tür öffnete und sie mit einer kurzen Handbewegung aufforderte,
einzutreten.
»Ich trage die Verantwortung dafür, daß ich dich ohne Erlaubnis hier
warten lasse. Also versprich mir, nichts zu stehlen.« Er beugte sich vor und
lächelte vielsagend. »Ich bin unten am Eingang. Was dir der Herr auch gibt,
wenn er mit dir fertig ist, ich bekomme die Hälfte, abgemacht?«
Delia erwiderte nichts. Sie stand mit großen Augen an der Tür.
Noch nie hatte sie ein so schönes Zimmer gesehen.
Auf dem glänzenden Parkett lagen kostbare
Teppiche. Damastvorhänge umrahmten zwei hohe Schiebefenster, durch die man auf
einen baumbestandenen Innenhof blickte. Es war ein warmer Frühlingstag
gewesen, aber es wurde bereits kühl. Ein flackerndes Feuer im offenen Kamin
verbreitete eine angenehme Wärme. Eine Tischlampe brannte bereits und ließ die
polierten englischen Möbel schimmern.
Als Delia hinter sich die Tür ins Schloß
fallen hörte, wurde ihr plötzlich bewußt, daß sie allein war. Lächelnd und
leise summend ging sie durch das schöne Zimmer. Sie strich mit der Hand über
die glatte Lehne eines Ohrensessels, der vor dem Kamin stand. Sie berührte
behutsam alle Gegenstände, seine Gegenstände, die auf dem Sekretär und
dem Schreibtisch lagen: Ein Rasiermesser und ein Abziehstein, ein Kamm mit
Elfenbeinzähnen und Schreibfedern in einer kunstvoll verzierten Messingdose.
Sie betrachtete aufmerksam die Dinge, die offenbar mit seinem Beruf zu tun hatten:
Lanzetten mit glatten beinernen Griffen, eine Arzttasche, kleine
Porzellantöpfe mit Medikamenten, wie man sie in den Apotheken sah, und ein
Arzneibuch. Irgendwie unpassend wirkte dagegen eine lange Muskete, die in einer
Ecke neben dem Kamin an der Wand lehnte. Auf dem glatten Schaft und dem Lauf
aus grauem Metall spiegelten sich die Flammen.
Wer mochte dieser Mann sein, dem all diese seltsamen Dinge
gehörten?
Delia glaubte, ihn in dem Zimmer zu spüren, das schwach nach Tabak
und Leder roch. Er ist reich, dachte sie, denn alles, was er besitzt, ist von
ausgesuchter Qualität und vorzüglich gearbeitet.
Dieser geheimnisvolle Mann war also nicht nur ein Farmer, sondern
auch ein Arzt. Bestimmt war er ein reicher Grundbesitzer und hatte Leute, die
für ihn arbeiteten. Wie alt mochten wohl seine beiden Töchter sein?
Aber wie konnte es dann sein, daß dieser Mann über eine Anzeige
eine Ehefrau suchen mußte? Vielleicht war er häßlich und hatte ein Gesicht
voller Pockennarben. Möglicherweise war er schon sehr alt oder auch nur
schüchtern und hatte nicht den Mut, um eine Frau zu werben ...
»Tyler W. Savitch ... Dr. med.«, flüsterte sie. »Was für ein Mann
bist du?«
Delia ging zu der Tür, die in das andere
Zimmer führte. Sie wußte zwar, daß sie das nicht durfte, aber schließlich
öffnete sie doch die Tür und betrat mit angehaltenem Atem sein Schlafzimmer.
Über dem Kaminsims hing ein Spiegel. Als Delia ihr Spiegelbild sah, hätte sie
beinahe aufgeschrien, denn im ersten Augenblick glaubte sie, außer ihr sei noch
jemand im Zimmer. Sie mußte über sich selbst lachen, legte aber sofort nervös
die Hand auf den Mund. Neugierig betrachtete sie sich im Spiegel. Die großen
Augen über der schmutzigen Hand lachten sie belustigt an.
Doch dann sah sie mit Entsetzen, daß ihre Wangen mit Dreck
verschmiert waren und in den Haaren Zweige und trockene Blätter hingen, die
sich in ihrem Versteck unter der Treppe darin verfangen hatten. Außerdem
entdeckte sie auf dem ohnehin nicht sehr sauberen Mieder zu allem Überfluß
auch noch gelbbraune Flecken. Die stammten von dem Rum, den sie Jake Steerborn
über den Kopf geschüttet hatte.
Du meine Güte, ich sehe vielleicht aus, dachte sie kopfschüttelnd
und mußte laut lachen. Kein Wunder, daß der Stallbursche die
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