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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Widerspenstige
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verkommen, der den ganzen Tag im Dreck wühlt ...«
    Delia nahm ihm die Zeitung aus der Hand. »Vielen Dank für Ihre
Mühe, Sir.«
    »Warten Sie!« rief er ihr nach. »Könnten wir nicht zusammen
ausgehen? Ich lade Sie zum Essen ein!« Aber Delia drehte sich nicht einmal um,
sondern ging entschlossen in Richtung King Street zum Roten Drachen.
    Delia lehnte an der dunklen Mauer eines Hauses und blickte auf die
Reihe großer Häuser und Geschäfte auf der anderen Seite der King Street. In der
Mitte befand sich der Rote Drachen. Das vornehme Gasthaus fiel durch seine
prächtige Fassade und ein großes farbiges Schild über dem Portal sofort ins
Auge.
    Keiner der Lederschürzen würde sich in dieses Wirtshaus wagen,
dachte Delia. Hier verkehrten nur die »besseren Leute«.
    Auch sie war noch nie in einem so eleganten Haus gewesen und
konnte nur ahnen, wie es im Innern aussehen würde. Die reichen Herren tranken das Bier bestimmt aus Zinnkrügen und
rauchten dabei Tonpfeifen, spielten Karten oder lasen die Zeitung. Natürlich
würde kein Lärm oder unanständiges Lachen die vornehme Ruhe stören.
    Am Eingang unterhielten sich ein Stallbursche
und der Portier. Sie trugen beide eine rotgoldene Livree und hatten gelockte
Perücken auf dem Kopf. Delia hatte gehofft, mit Dr. Tyler W. Savitch sprechen
zu können, ohne großes Aufsehen zu erregen. Sie wartete ungeduldig ein paar
endlos scheinende Minuten und mußte dann einsehen, daß der einzige Weg in das
ehrwürdige Gasthaus an dem Portier vorbeiführte.
    Sie raffte den Rock und hob stolz das Kinn,
wie es eine richtige Dame ihrer Meinung nach getan hätte, und überquerte die
Straße. Im Gedränge auf der King Street mußte sie um einen Besenverkäufer
herumgehen, einem Wasserverkäufer ausweichen und sich an einem Messerschleifer
vorbeidrängen, bis sie endlich das Portal erreichte.
    »Entschuldigen Sie bitte ...«
    Die beiden Männer in den rotgoldenen Livreen unterbrachen ihr
Gespräch und drehten sich nach ihr um. Sie musterten Delia von Kopf bis Fuß,
von den zerzausten, lockigen Haaren, die weder von einem Kopftuch noch von
einer Haube sittsam bedeckt waren, bis zum fleckigen und ausgefransten Saum
ihres gestreiften Rocks, und hoben verwundert die Augenbrauen. Der Stallbursche
war etwa so alt wie Delias Vater. Er war klein und beleibt und hatte ein dickes
rotes Gesicht. Er sah Delia noch einmal an und rümpfte mißbilligend die
knollige rosarote Nase.
    Der Portier war größer und jünger. Er lächelte anzüglich und
zeigte dabei unregelmäßige braune Zähne. »Die Küche ist hinter dem Haus,
Kleine. Aber soweit ich weiß, brauchen wir im Augenblick kein Küchenmädchen.«
    Delia erwiderte das Lächeln. »Ich suche keine Arbeit. Können Sie
mir sagen, wo ich Mr. Tyler W. Savitch finden kann?« Sie dachte angestrengt
nach und fügte dann etwas zögernd hinzu: »Ich meine ... den Dr. med ... Er
erwartet mich.«
    Das war nicht gelogen, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit
entsprach. Schließlich stand in der Zeitung: »Interessentinnen mögen sich an
Dr. med Tyler W. Savitch wenden ...«
    »Oh, er erwartet dich? Ja, dann bin ich der König von England!«
rief der Stallbursche und lachte so heftig, daß seine Perücke verrutschte.
Ganz plötzlich wurde er jedoch wieder ernst und meinte drohend: »Verschwinde,
oder ich rufe die Polizei.«
    »Einen Moment«, mischte sich der Portier ein. Er eilte zur Tür,
die er einem vornehmen Herrn aufhielt, der einen hohen Zylinder trug, der
beinahe so groß war wie er selbst. Dann kam er zurück und sagte: »In den
letzten Tagen haben alle möglichen Frauen den Doktor besucht ... und die
meisten sahen nicht besser aus als sie ... Entschuldigen Sie, mein Fräulein.«
    Der Stallbursche warf noch einen mißbilligenden Blick auf Delia
und schüttelte den Kopf. »Merkwürdig ... sehr merkwürdig ... Der Mann will wohl
ein Bordell aufmachen.«
    Auch Delia war mißtrauisch geworden. Wenn dieser Doktor so einer
war, dann wollte sie nichts mit ihm zu tun haben. Sie wandte sich zum Gehen.
    »Warte, Kleine, der Doktor ist im Augenblick nicht da!« rief der
Portier und zwinkerte vielsagend. »Er hat hier eine Suite. Du kannst
meinetwegen in seinem Wohnzimmer warten.«
    Der Stallbursche machte eine finstere Miene,
sagte aber nichts.
    Delia zögerte und überlegte: Wenn mir dieser Doktor nicht gefällt,
dann gehe ich einfach. In einem so vornehmen Haus wie dem Roten Drachen kann
mir im Grunde nichts Schlimmes geschehen.
    Der Portier öffnete Delia

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