Pennäler contra Pauker
200 Seiten wiederholen, die man nie zuvor gesehen hat. Trotz dieser Hindernisse vermögen einzelne Virtuosen solche 200 Seiten an einem Nachmittag wie einen leichtverdaulichen Bissen zu verdauen, ohne dabei das Vorspiel mit dem Nachwuchs des Sportklubs ihrer Stadt zu versäumen.
Wir verweisen nochmals auf die ungeheuren Fortschritte, die die Menschen auf diesem Gebiet seit der Scholastik dank der Rationalisierung und wohl auch der wesentlichen Vermehrung der Hirnwindungen gemacht haben. - Soviel sei der Darstellung der eigentlichen Prüfungstechnik und der Methode des erfolgreichen Standhaltens gegenüber den Prüfenden vorausgeschickt.
Die Redekunst
Ich glaube, es hat noch niemand ein Handbuch zur Anleitung darüber geschrieben, wie man eine Prüfung mit Erfolg besteht. Eine solche Kunst gibt es aber, und die unbekannten Talente aus den Reihen der Pennäler haben es darin bewundernswert weit gebracht.
Sämtliche Methoden gehen aus von der Grundwahrheit, wonach von den Schülern nicht verlangt wird, daß sie auf Anhieb etwas wissen oder können, sondern daß sie die Fragen des Mannes hinterm Pult so beantworten, daß er zufrieden ist.
Die Kunst der Rede oder Schönfärberei ist sehr wirksam. Sie setzt einen scharfsinnigen und schlagfertigen Jüngling voraus, der sich in blumenreichem Stil auszudrücken vermag.
«Was wissen Sie von der Schlacht bei Aigos Potamoi?» fragt der Pauker. Der aufgerufene junge Mann entnimmt der Frage zunächst, daß bei Aigos Potamoi irgendeine Schlacht stattgefunden habe. Nachdem er sein Staunen über diese überraschende Eröffnung unterdrückt hat, schickt er sich an, die Einzelheiten des grausamen Kampfes in satten Farben auszumalen. Begeistert beschreibt er, wie die Schlachtenordnungen von den zahllosen Speeren der Schwerbewaffneten starrten und die Helme unter den goldenen Blitzen der untergehenden Sonne flammten. Wie am linken Flügel die Reiter so heftig aneinanderstießen, daß sich die Rosse aufbäumten und die Krieger mit den Schwertern einander erreichten, die gegen die metallenen Buckel der Schilder klirrten. Der Pauker lauscht einigermaßen erstaunt; davon steht nicht das geringste im Buch. Aber er fürchtet, sich bloßzustellen, wenn er in die feurigen Darlegungen des Redners fachmännisch eingriffe. Er nickt daher zustimmend und brummt:
«Das genügt. Ich sehe, Sie haben fleißig gelernt und verfügen auch über umfangreiche eigene Kenntnisse.»
Worauf er den siegreichen Jüngling wohlwollend in die Bank schickt.
Ich betone Jüngling, denn obgleich sich die Mädchen sonst durch Zungenfertigkeit auszeichnen, sind sie nur selten mit einer solchen rednerischen Intuition begabt.
Die Kunst des Ausweichens
Dieser Art liegt wissenschaftlich die Tatsache zugrunde, daß der Schüler geistiges Neuland fluchtartig verläßt, um auf alten, ihm vertrauten Pfaden weiterzuwandeln.
Der Pauker fordert sein Opfer auf, sagen wir, über die Flüsse Chinas zu sprechen. Der Junge kennt zwar bloß einen einzigen, nichtsdestotrotz sprudelt er hervor mit der Kaltblütigkeit eines Schwimmers, der sich in den Mahlstrom stürzt: «Der größte Fluß Chinas ist der Hoang-Ho oder der Gelbe Fluß, der durch seine katastrophalen Überschwemmungen eine traurige Berühmtheit erlangt hat. In der Zeit der Frühjahrsregen überflutet er die Ufer...», und nun folgt eine fesselnde Beschreibung der verderbenbringenden Überschwemmungen des genannten Stromes. Der Pauker wartet zwar vergebens auf die Namen weiterer Flüsse, doch muß er, durch die furchtbaren Folgen der chinesischen Überschwemmungen tief erschüttert, schließlich zugeben, daß der Schüler doch etwas weiß.
Es ist manchmal seitens des Prüflings eine bedeutende stilistische Kunstfertigkeit vonnöten, um glatt und unauffällig «auf eine andere Welle umzuschalten» und vom Höhlenmolch zur Hauskatze oder von den Diamantenfeldern zur Erzeugung von Kunstdünger zu gelangen.
Keinesfalls darf eine solche Flucht aber wie folgt aussehen: «Wir unterscheiden Trink- und Mineralwasser, Mineralwasser kommt in Karlsbad vor, das nach Karl IV. so genannt wird. Er gab die Goldene Bulle heraus...»
Die Aufgabe wird noch durch die Verstocktheit vieler Pauker erschwert, die den Vortrag stören durch Nörgelei und Stänkerei oder verdrießliche Bemerkungen wie «Sprechen Sie zur Sache» oder «Danach habe ich nicht gefragt».
Wenn Buddha schläft
Ein ideales Objekt für solche rhetorischen Leistungen sind jene lebensmüden Pädagogen, die sich
Weitere Kostenlose Bücher