Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
rausgeben.«
»Willst mich wohl vergackeiern, Pepe? Bis morgen.«
Er nahm seinen Kasten und ging durch den Mittelgang des Speiselokals. Dabei musterte er die Füße der Gäste wie ein Pilzsucher. Carvalho legte seine Zeche auf das Tellerchen und trat auf die Straße hinaus. Es fiel ihm nicht gleich ein, wo er letzte Nacht sein Auto gelassen hatte, aber er vermutete es irgendwo auf dem oberen Teil der Ramblas. Er nahm den Mittelstreifen der Promenade, blieb ab und zu an einem Kiosk mit Büchern oder Zeitschriften stehen, wog Samentütchen in der Hand und dachte über die merkwürdigen Lebensbedingungen der Vögel und Äffchen in den Käfigen der Straßenverkäufer nach. Schon erfüllte das geschäftige Treiben des Abends die Ramblas, und Carvalho betrat eine Markthalle, über deren Eingang ein Schild mit der Aufschrift hing:
Mercado de la Boquería
. Er wollte gut zu Abend essen. Während er in der Einsamkeit seines Hauses über dem Fall brüten würde, wollte er unbedingt ein wenig kochen. Die Lösung für einen angenehmen Ausklang des Tages bestand in dem Versprechen eines leckeren Abendessens. Er kaufte frischen Seehecht und Seeteufel, eine Handvoll Venusmuscheln und Miesmuscheln, dazu noch ein paar Scampi. Mit weißen Plastiktüten behängt, die mit diesen Schätzen angefüllt waren, schlenderte er dann durch das friedliche abendliche Erwachen des Marktes. Viele Stände waren geschlossen, und der Akt des Essenkaufens besaß am Abend ein anderes Zeitmaß, einen speziellen Bereich, in dem fast totales Schweigen herrschte, kaum durchbrochen von den Geräuschen des Anbietens und Verkaufens.
Für den großen braunen Mittdreißiger, der trotz seiner teuren, maßgeschneiderten Kleidung etwas ungepflegt wirkte, war der gemütliche Bummel durch die Markthalle eine der wenigen Orgien, die er seinem Geist an jedem Abend gönnte, wenn er Charos Viertel verließ, um zu seinem Bau am Abhang des Berges über der Stadt zurückzukehren.
Zu Carvalhos Haus gelangte man über einen breiten, ungeteerten Weg, der sich zwischen alten, verschnörkelten Villen hindurchschlängelte. Ihr Weiß war ergraut im Regen der letzten fünfzig Jahre, sie waren verziert mit blauen oder grünen Kacheln und überwuchert von Bougainvilleas oder Wunderblumen, deren Hängeranken über die Ränder der Lehmmauern quollen. Das Haus Carvalhos besaß weder das Alter noch die vornehme Herkunft seiner Nachbarn. Es war nicht in der Blütezeit von Vallvidrera erbaut worden, sondern in der zweiten großen Epoche seiner Geschichte. Ein paar Leute, die sich nach dem Bürgerkrieg mit Schwarzmarktgeschäften bereichert hatten, suchten auf dem Berg einen glücklichen Ausguck auf den Schauplatz ihrer glücklichen Geschäfte. Es war ein kleinerer Reichtum aus kleineren Schwarzmarktgeschäften. Sparsame Menschen, die sich aus der Vorkriegszeit die Leidenschaft für ein Häuschen mit Garten am Stadtrand bewahrt hatten, wenn möglich mit einer Ecke für Gemüse und Tomaten, faszinierende Freizeitgestaltung der Wochenenden und bezahlten Urlaubstage.
Carvalho hatte diese kleine Villa gemietet, die sich am Vorbild des Funktionalismus zwischen den Kriegen orientierte. Wohl hatten die Architekten geplant, ein rein funktionalistisches Haus zu entwerfen, aber der Eigentümer hatte zweifelsfrei ›ein wenig Farbe‹ oder ›etwas gemütlicher‹ verlangt. Deshalb hatte man sich ein paar gewagte Backsteinreihen erlaubt, die über den Kranzgesimsen wie hohle Zähnchen aussahen, dazu die eine oder andere Reihe gelber Fliesen auf der ursprünglich ockerfarbenen Hauswand, die jetzt nach dreißigjährigem Dasein etwas grünlich wurde.
Carvalho nahm die Post aus dem Briefkasten am Eingang und durchquerte die Gartenfläche aus Erde und wackligen Steinplatten, die ihn von den Stufen der Veranda trennte. Dank seiner Nachlässigkeit gediehen überall Wildkräuter, und auf dem Boden der Veranda hatte sich aus abgestorbenen Blättern des letzten Herbstes ein beiger Farbstoff gebildet, der mit den Schuhen ins Innere des Hauses wanderte. Carvalhos Füße betraten das geometrische Mosaik im Hausflur und folgten der Helligkeit, die seine Hände den Lichtschaltern entlockten. Es war Juli, aber Carvalho brauchte ein flackerndes Kaminfeuer, um in Ruhe nachdenken zu können. Zum Ausgleich entblößte er seinen Oberkörper und öffnete Fenster und Läden, um von draußen trockenere Luft und die letzten Sonnenstrahlen des Abends hereinzulassen. Als er die Läden aufstieß, blickte er liebevoll über
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