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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Augen.
    Für einen schrecklichen, ewigen Atemzug erspähte ich die Realität, durch die der tanzende wahnsinnige Gott seinen Weg nahm.
    Meine Augen brannten und tränten, sie fühlten sich an, als wollten sie bersten, als ob tausend Sandstürme sie peitschten. Sie vermochten ihn nicht zu erfassen, den Anblick, der sich ihnen bot. Meine armen Augen mühten sich, das Unsehbare zu sehen. Ich erblickte nichts als ein Fragment, den Rand eines ungleich größeren Vistas.
    Ich sah oder glaubte zu sehen oder habe mir eingebildet gesehen zu haben, eine Weite, die jeden Wüstenhimmel beschämte. Eine gähnende Kluft von titanischen Ausmaßen. Ich wimmerte und hörte andere neben mir wimmern. Ausgespannt in der Leere, sich von uns wegbreitend, höhlenartig, in jegliche Richtung und Dimension, Lebensalter und Immensität mit jedem verschlungenen Knoten metaphysischer Substanz umfassend, war ein Netz.
    Seine Substanz war mir bekannt.
    Die quirlende Unendlichkeit von Farben, das Chaos der Texturen in jeder Faser jenes ewiglich komplexen Bildteppichs – jede einzelne erzitterte unter dem Schritt des tanzenden Gottes, sandte vibrierend den Nachhall von Mut oder Hunger oder Architektur oder Streit oder Kohl oder Mord oder Zement durch den Æther. Das Gespinst des Daseins von Spatzen verbunden mit dem bunten Garn vom Lachen eines jungen Schelms. Die Fasern, straff gespannt, heften sich an einen dritten Faden, dieser gezwirnt aus den Winkeln zwischen sieben Strebebögen einer Kathedrale und ihrem Dach. Der geflochtene Strang verläuft sich in der Grenzenlosigkeit möglicher Ebenen.
    Jedwede Intention, Interaktion, Motivation, jede Farbe, jeder Körper, jede Aktion und Reaktion, jedes Quäntchen physischer Realität und die Gedanken, die sie erzeugt, jede Verbindung, jeder hervorgehobene Moment in Geschichte und Potenzialität, jeder Zahnschmerz und Pflasterstein, jede Emotion und Geburt und Banknote, jedes mögliche Ding, gewesen und künftig, ist eingewoben in dieses allumfassende Netzuniversum.
    Es ist ohne Anfang und Ende. Es ist komplex in einem Grade, dass der Verstand davor kapitulieren muss. Es ist ein Werk von solcher Erhabenheit, dass meine Seele weinte.
    Und überall war Leben. Es gab andere wie unseren Retter/Entführer, mehr von den tanzenden wahnsinnigen Göttern, weit verstreut in der gewebten Unendlichkeit.
    Da waren auch andere Kreaturen, furchtbare, vielfältige Gestalten, an die ich mich nicht erinnern will.
    Das Netz ist nicht ohne Mängel. An unzähligen Stellen ist die Seide gerissen, sind die Farben zerlaufen. Hier und dort sind die Muster verzerrt, instabil. Wann immer wir an einem solchen Fleck vorbeikamen, fühlte ich, wie der tanzende Gott innehielt, um zu knüpfen und zu färben.
    Ein Stück entfernt befand sich das dichte Gewirk des Cymek. Ich schwöre, ich spürte seine Schwingungen, als das Weltnetz unter dem Gewicht der Zeit federte.
    Um mich herum befand sich ein kleines, begrenztes Feld heilloser Verflechtung – New Crobuzon. Und dort, stracks durch die verwobenen Fasern in der Mitte, ging ein hässlicher Riss, der sich weitete und das Stadtgewebe teilte, die Vielfalt der Farben angriff und sie ausblutete. Zurück blieb ein tristes, lebloses Weiß, tausendfach seelenloser noch als das Auge eines blinden, in nachtdunklen Grotten geborenen Fischs.
    Während ich darauf schaute, aus schmerzenden Augen, übervoll mit Begreifen, sah ich, dass der Riss sich vergrößerte.
    Ich fürchtete mich vor dieser wachsenden Kluft, wie ich mich erdrückt fühlte von der Gewaltigkeit des Ganzen, der schieren transzendentalen Monumentalität des schöpferischen Plans.
    Ich konnte meinen Verstand nicht abstellen. Er mühte sich, ungebeten, zu erinnern, zu interpretieren, was er gesehen hatte. Doch er war nicht imstande, es zu erfassen. Mir blieb nur ein Gefühlseindruck. Ich erinnere mich daran, wie irgendwo gelesen. Das Gewicht seiner Ungeheuerlichkeit ist nicht mehr da, um mich zu bedrängen.
    Dergestalt die Erinnerung, auf sterbliches Maß reduziert, die mich gefangen hält.
    Ich habe mit dem Weber getanzt. Ich habe ein Tänzchen gewagt mit dem wahnsinnigen Gott.

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