Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
Dutzende davon an der Gürtelschlaufe seiner Hose mit sich herum und übte die Vokabeln immer wieder mit den Dorfbewohnern. Er versuchte, die Wörter und Satzteile in verschiedenen Zusammenhängen zu benutzen und brachte die Pirahã dabei mehr als einmal zum Lachen. Wenn seine Verzweiflung groß war, schaute er sich immer die Pirahã-Kinder an, die diese Sprache mühelos erlernten. Wenn sie das konnten, dann auch er, sagte er sich immer wieder. Aber immer wenn er dachte, dass er neue Wendungen erlernte, hatte er zugleich das Gefühl, dass das alles zu nichts führte. Langsam verstand er die Frustration ihrer Vorgänger.
So hörte er immer wieder ein Wort, das »gerade eben« zu bedeuten schien, wie bei »der Mann ist gerade eben gegangen«. Später hörte er das Wort in einem anderen Zusammenhang und begriff, dass es den exakten Moment bezeichnete, in dem etwas auftauchte oder verschwand – eine Person, ein Geräusch, irgendetwas. Die Wendung bezeichnete demnach die Erfahrung eines solchen flüchtigen Augenblicks, was den Pirahã offenbar sehr viel bedeutete. »Gerade eben« deckte nur einen winzigen Teil dieser Bedeutung ab. So erging es ihm mit vielen Wörtern, die er glaubte, verstanden zu haben. Außerdem entdeckte er Dinge, die es in ihrer Sprache entgegen aller linguistischen Theorien überhaupt nicht gab. Es gab keine Wörter für die Zahlen, keine Begriffe für rechts und links und keine einfachen Wörter, die Farben bezeichneten. Was hatte das zu bedeuten?
Sie lebten nun schon mehr als ein Jahr dort, als er eines Tages einige Pirahã-Männer auf einem Marsch tief in den Dschungel begleitete und eine ganz andere Seite ihres Daseins und ihrer Sprache entdeckte. Sie benahmen sich und sprachen völlig anders; ihre Kommunikation bestand aus kunstvollen Pfiffen, die offensichtlich die gesprochene Sprache ersetzt hatten, um sich bei ihrem Jagdstreifzug besonders heimlich zu bewegen. Ihre Orientierung in dieser gefährlichen Umgebung war beeindruckend.
Und mit einem Mal dämmerte es Everett: Sein Problem rührte daher, dass er immer im Dorf blieb – dabei ließ sich ihre Sprache gar nicht trennen von ihrer Art zu jagen, von ihrer Kultur und ihren täglichen Gewohnheiten. Unbewusst hatte er ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber diesen Menschen und ihrer Lebensweise verinnerlicht, und unter ihnen gelebt wie ein Wissenschaftler, der Ameisen erforscht. Dass er dem Geheimnis ihrer Sprache nicht auf die Spur kam, zeigte nur die Unzulänglichkeit seiner Methode. Wenn er das Pirahã so erlernen wollte, wie es die Kinder aufschnappten, dann musste er wie ein Kind werden – sein Leben musste von diesen Menschen abhängen, er musste an ihrem alltäglichen Leben teilnehmen, an ihren sozialen Kreisen teilhaben, sich in der Tat minderwertig fühlen und auf ihre Hilfe angewiesen sein. (Der Verlust des Überlegenheitsgefühls führte bei ihm später zu einer persönlichen Krise, in deren Verlauf er den Glauben an seine Rolle als Missionar verlor und der Kirche den Rücken kehrte.)
Er wandte seine neue Strategie nun auf allen Ebenen an und trat in einen Lebensbereich der Pirahã ein, der ihm bislang verborgen geblieben war. Schon bald hatte er von vielen Aspekten dieser seltsamen Sprache eine vage Ahnung. Die sprachlichen Besonderheiten der Pirahã spiegelten eine einzigartige Kultur wieder, die sich in langer Isolation herausgebildet hatte. Erst als er wie eines ihrer Kinder an ihrem Leben teilnahm, machte er Fortschritte in Pirahã, die zuvor niemandem möglich gewesen waren.
In seiner Lehrzeit im Urwald Amazoniens, der seine spätere Karriere als wegweisender Sprachforscher begründete, stieß Daniel Everett auf eine Erkenntnis, deren Bedeutung weit über sein eigenes Feld hinausreicht. Was Menschen selbst bei außergewöhnlich schwierigen Dingen wie Pirahã vom Lernen abhält, ist oft nicht das Thema selbst – der Mensch verfügt über unbegrenzte Aufnahmefähigkeit – sondern gewisse Lernhemmnisse , die sich mit zunehmendem Alter in unserem Geist festsetzen und ausbreiten. Dazu zählt ein von der Schule oder der Familie vermitteltes Gefühl von Selbstgefälligkeit und Überlegenheit angesichts alles Fremden sowie fest gefügte Überzeugungen hinsichtlich dessen, was wir als wirklich oder wahr erachten. Wenn wir glauben, etwas zu wissen, dann verschließen wir unseren Verstand gegenüber anderen Möglichkeiten. Wir sehen nur Abbilder der Wahrheit, von der wir schon immer ausgegangen sind. Solche
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