Pern 07 - Moreta, die Drache
düstere Glimmen des Roten Sterns über dem Westmeer, den Halbmond Belior, der immer höher stieg, und die Sichel des kleineren Timor. Sie hielt diese Vision in ihren Gedanken fest, während Nabeth ins Dazwischen tauchte. Unvermittelt spürte sie einen unglaublichen Druck auf Herz und Lungen, und dann schwebten sie in der warmen Luft hoch über Istas Felsenküste.
Die cremeweißen Augen der Ging- Blüten wandten sich der Sonne zu, die eben im Osten heraufzog. B'lerion stieß einen Triumphschrei aus und zog Oklina fester an sich. Alessan umklammerte Moretas Taille, als suchte er einen Halt.
Nabeth flog den Felsensims an, auf dem Moreta oft mit Orlith gelandet war, um Nadeldorne zu sammeln. Er lag hoch über der hereinströmenden Flut, die gegen die Klippen donnerte.
Der Bronzedrache landete so geschickt, wie er sich kurz zuvor in die Lüfte erhoben hatte. Seine Schwingen drückten die Sträucher flach, die sich ringsum an die Steilhänge krallten.
»Dort drüben am Hang wachsen die meisten Dornensträucher!« rief Moreta den anderen zu.
B'lerion sprang so tollkühn zu Boden, daß sein Drache erschrocken lostrompetete.
»Willst du dir den zweiten Arm verrenken, B'lerion?« fragte Moreta kopfschüttelnd und zeigte dann Oklina, wie man gefahrlos vom Nacken des mächtigen Bronzedrachen in die 349
Tiefe gleiten konnte.
»Sind wir wirklich in der Zukunft?« fragte Capiam, als Alessan die Tragnetze verteilte. Er sah sich mit einer gewissen Scheu um.
»Ich hoffe es sehr«, meinte B'lerion und sah Moreta mit düster gerunzelter Stirn an, ehe er sich den drei Leitgestirnen am Himmel zuwandte.
»Keine Sorge«, entgegnete sie so ruhig, wie sie nur konnte.
Ein eigenartiger Schwindel hatte sie erfaßt, ein Gefühl der Schwerelosigkeit und der wachsenden Euphorie - Empfindun-gen, die ihr bis zu diesem Moment fremd gewesen waren.
Gewaltsam riß sie sich von dem Sog los und deutete eine Böschung hinunter. »Wir gehen hier entlang. Sobald wir auf die Dornsträucher stoßen, werden wir sicher sein. Ich kam nämlich letztes Jahr hierher und sammelte Dornen, mit Erlaubnis des Burgherrn, denn die Küstenbewohner holen sich das Zeug an leichter zugänglichen Stellen.« Die Weyrherrin von Fort ging voraus.
Die Schlucht lag zehn oder mehr Drachenlängen vom Rand der Klippe entfernt, und Moreta war plötzlich von Besorgnis erfüllt. Sie hatte die Sträucher im letzten Herbst nicht vollständig abgeräumt; aber damals hatten die Monde eindeutig eine andere Position eingenommen,,und der Rote Stern war höher im Westen gestanden. Erleichtert atmete sie auf, als sie den Rand der Schlucht erreichte und die dichten braunen Nadelbü-
schel an den Zweigenden entdeckte. Über ihnen schloß sich der Regenwald zu einem Blätterdach. Die Schlucht, die gewunden von Nord nach Süd verlief, war in grauer Vorzeit vermutlich durch ein Erdbeben entstanden, und die dünne Humusschicht über dem blanken Fels ernährte nur Kletterpflanzen und die anspruchslosen Dornsträucher. Alessan stellte verwundert fest, daß die Schlinggewächse einen großen Abstand zu den
Sträuchern einhielten.
»Der Nadeldorn verzehrt alles, was in seine Nähe kommt«, 350
erklärte Moreta. »Im Frühling und im Sommer sind die Nadeln giftig. Sie nehmen den Saft von Tieren und anderen Pflanzen auf, bis der dicke Stamm der Pflanze im Herbst genügend Feuchtigkeit und Nährstoffe besitzt. Im Winter wächst der Strauch und sprengt seine Außenhülle. Es heißt, daß sein Fleisch sehr saftig schmeckt.«
Oklina schüttelte sich, aber Desdra ging in die Knie und untersuchte einen der Büsche genauer.
»Im Frühling und Sommer verströmt die Pflanze einen Geruch, der Schlangen und Insekten anzieht. Die hohlen Dornen saugen den aufgespießten Opfern den Lebenssaft aus, leiten aber auch das Regenwasser weiter. Der Strauch dort drüben hat eine Lücke. Hier scheint ein größeres Tier einen Teil der Dornen abgebrochen zu haben. Das erleichtert das Einsam-meln.«
»Hast du nicht gesagt, daß das Zeug giftig ist?« B'lerion schien nicht gerade wild darauf, mit der Arbeit zu beginnen.
»Nur im Frühling und Sommer. Jetzt ist das Gift versiegt.
Seht ihr die neuen Dornknospen am Zweigansatz? Sie sprengen mit der Zeit die alten Dornen ab. Paßt auf ...« Sie streifte mit der flachen Hand eines der Büschel vom Ast. »Es ist nicht schwer, die Dinger zu ernten. Aber seid nicht zu ehrgeizig! Ihr müßt darauf achten, daß die Spitzen nicht abbrechen und sich in eure Finger bohren.
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