Perry Rhodan Neo 006 - Die dunklen Zwillinge
Sitzung.
Monterny strahlte vor Begeisterung. Der Durchbruch, auf den er ein Jahr lang hingearbeitet hatte, war geschehen.
Goratschin hatte die Arme verschränkt. »Ein Blatt Papier! Für zehn Sekunden! Großartig!«
Monterny hielt das Video an. Das Standbild zeigte das vor Anstrengung verzerrte Gesicht der Veteranin und das Blatt, das wie von Geisterhänden gehalten über dem Tisch schwebte.
»Es ist ein Anfang!« Der Zynismus seines alten Kameraden ernüchterte ihn schlagartig. Was war los mit Ivanhoe? »Sie hat die Gabe. Das ist, was zählt.«
»Ich wünschte, es wäre so. Aber ich brauche keine Zaubertricks. Ich brauche Resultate!«
»Das ist kein Zaubertrick! Das ist real. Inéz Girandole besitzt die Psi-Gabe der Telekinese! Und dazu kommen drei andere Verwundete, die kurz vor dem Durchbruch stehen!«
»Natürlich. Wenn du ihnen gut zuredest ...«
Goratschin sagte es leise. Mehr war nicht nötig. Er wusste, dass sein alter Kamerad den Vorwurf verstand.
Monterny schluckte. »Inéz hat das Blatt angehoben, nicht ich!«, protestierte er.
»Aber nur mit deiner Hilfe! Deine Psi-Gabe hat ihre verstärkt.«
»Dafür gibt es keinen Beleg!«
»Noch nicht.«
»Du bist ungerecht!«
Ivanhoe warf ihm einen scharfen Blick zu. »Ich bin nüchtern. Vergiss nicht, ich bin Wissenschaftler. Ich habe eine mehrjährige Ausbildung an einer Elite-Universität absolviert.«
Während du deine Zeit damit verbracht hast, dich zu verkriechen! Der Vorwurf schwang mit, blieb aber unausgesprochen. Ivanhoe hatte etwas aus sich gemacht. Er hatte den Doktortitel erworben, er hatte das Projekt Brain Drain aus der Taufe gehoben, er war der Leiter des Projekts – und doch lief ihm Clifford Monterny, der Verstümmelte, der Gescheiterte, den Rang ab.
Die Patienten liebten Monterny. Sie vertrauten ihm. Einen Durchbruch wie mit Inéz hatte Goratschin nach fünf Jahren nicht vorzuweisen.
Iwanowitsch Goratschin war eifersüchtig.
»Auch als Wissenschaftler solltest du nicht vergessen, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die Schlimmes durchgemacht haben!«
»Wie ich selbst, wenn ich dich erinnern darf.« Goratschin stand auf, begann auf und ab zu gehen. Ihm blieb nicht viel Platz. Sein Büro war unter Papier begraben, unzählige Ausdrucke, die sich in unregelmäßigen Haufen stapelten und den Boden nahezu komplett erobert hatten. Goratschin arbeitete sieben Tage die Woche. Monat um Monat, Jahr für Jahr.
»Und ich habe ebenfalls mit Menschen zu tun. Mächtigen Menschen. Sie wollen endlich Ergebnisse sehen. Projekt Brain Drain steht auf der Kippe. Es war schwer genug, es überhaupt zu initiieren, die entscheidenden Leute davon zu überzeugen, dass Psi-Gaben kein Hokuspokus sind!«
»Sie sind keiner. Du bist kein Hokuspokus, Ivanhoe. Ich bin es nicht. Und das da«, er zeigte auf das Standbild, »ebenso wenig. Psi-Kräfte existieren. Und sie werden freigesetzt durch Hirn-Traumata. Inéz ist der letzte Beweis, der uns gefehlt hat.«
»Ein Blatt Papier. Nach fünf Jahren.«
»Ich habe doch schon gesagt: Es ist ein Anfang. Gib ihr Zeit!«
Goratschin fuhr herum. »Wir haben keine Zeit! Unsere Finanzierung läuft aus. Die Regierung gibt uns Geld, weil sie sich von uns einen entscheidenden Beitrag zur Nationalen Sicherheit erhofft. Das da«, er streifte das Display mit einem verächtlichen Blick, »ist ein schlechter Scherz. Sollen wir die Chinesen und Russen mit telekinetisch gesteuerten Papierfliegern bewerfen?«
Goratschin wandte sich ab, sah zum Fenster hinaus, das den üblichen Blick ins Paradies bot. »Ich fürchte«, sagte er schließlich, »es wird Zeit, dass wir andere Saiten aufziehen.«
»Was meinst du damit?«
»Wir haben eine These, nicht? Psi-Gaben existieren. Sie sind verschüttet, aber sie werden durch Hirn-Traumata sozusagen freigeschaltet.«
»Ja, und?«
»Und ein zweiter Faktor kommt dazu: Todesangst. Wir haben ihn bisher außer Acht gelassen. Das können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten.«
»Ivanhoe, worauf willst du hinaus?« Monterny sprang auf. Eine Ahnung hatte ihn erfasst. Eine unmögliche Ahnung.
»Nun, wir haben uns bislang auf gute Pflege, Gespräche und intensive Bitten beschränkt. Mit bescheidenem Erfolg. Weil der entscheidende Faktor fehlt: die Todesangst.«
»Du willst die Patienten bedrohen? Das ... das wird man niemals zulassen!«
»Wer sagt, dass jemals irgendwer davon erfahren wird? Ein Brand, der unerklärlich bleibt ...«
»Du willst deine Gabe missbrauchen!«
»Nein, ich will sie
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