Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
Einleitung
Die Stichworte ‹Frauenbewegung› und ‹Feminismus› stehen für ein gemeinsames Ziel. In beiden Fällen geht es darum, Frauen in allen Lebensbereichen, in Staat, Gesellschaft und Kultur und vor allem auch in der Privatsphäre, gleiche Rechte und Freiheiten sowie gleiche Teilhabe an politischer Macht und gesellschaftlichen Ressourcen zu verschaffen. Das heißt, im Zentrum der Bestrebungen liegt nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Einlösung demokratischer Prinzipien der Freiheit und Gleichheit aller Menschen und die Anerkennung ihrer gleichen Menschenwürde – Prinzipien, die seit der Französischen Revolution als Kennzeichen einer rechtsstaatlichen demokratischen Ordnung gelten. Und doch meinen beide Begriffe nicht unbedingt dasselbe, sie transportieren insbesondere im Deutschen unterschiedliche Bedeutungen oder politische Ansichten.
‹Frauenbewegung› bezeichnet wie andere soziale Bewegungen bestimmte Formen gemeinsamen sozialen Handelns, die darauf gerichtet sind, sozialen Wandel herbeizuführen und – im Falle der Frauenbewegung – insbesondere im Geschlechterverhältnis Bevormundung, Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheiten zu beseitigen. Frauenbewegungen sind historische Phänomene und soziale Tatsachen, die sich beschreiben, deuten und unter vielfältigen Aspekten wissenschaftlich analysieren lassen. Die sozialwissenschaftliche Forschung hat hierfür ein ganzes Repertoire von Kriterien und Methoden erarbeitet, mit denen sie die verschiedenen Formen kollektiven, bürgerschaftlichen Engagements zu kategorisieren und einzuordnen versteht.
Der Begriff ‹Feminismus›, obwohl auch er zur Bezeichnung der sozialen Bewegungen von Frauen gebraucht wird, hat noch eine weiter gehende Bedeutung. Wie andere Theorien oder Gesellschaftskonzepte, die wie Liberalismus, Konservatismus, Marxismus seit dem 19. Jahrhundert als «Ismen» verhandeltwerden, verweist die Rede vom Feminismus auf eine politische Theorie, die nicht nur einzelne Anliegen verfolgt, sondern die Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse im Blick hat, also einen grundlegenden Wandel der sozialen und symbolischen Ordnung – auch in den intimsten und vertrautesten Verhältnissen der Geschlechter – anstrebt und gleichzeitig Deutungen und Argumente zu ihrer Kritik anbietet. Dieser Anspruch ist nicht erst neuerdings der Ideologie verdächtig und deshalb in Verruf geraten, vielmehr begleiten Abwehr und Missverständnisse die Erörterung von Frauenfragen und Feminismus, seitdem sie benannt wurden. Wie ist das zu erklären? Liegt der Grund darin, dass die Emanzipation der Frauen in jedem Fall, mit jeder einzelnen Forderung nach mehr Gerechtigkeit, die bisherige Geschlechterordnung und damit die bestehende Ordnung in Frage stellt, also den Status quo von Gewohnheiten und Privilegien gefährdet? Um hierauf eine Antwort geben zu können, lohnt es sich, mehr zu wissen und die Geschichte und die gesellschaftlichen Zusammenhänge genauer zu kennen, in denen um Emanzipation, Gleichheit und Gerechtigkeit gerungen wurde. Tatsächlich genügt es nicht, sich auf Gemeinplätze und Erfahrungen aus dem eigenen Alltag zu berufen, gerade weil jeder und jede sich alltäglich gegenüber bestimmten Erwartungen als Mann oder Frau bewähren müssen. Hier helfen Erklärungsansätze und Theorien, die inzwischen von der Frauen- und Geschlechterforschung in den verschiedenen Disziplinen erarbeitet wurden. Dabei zeigt sich, dass die Einführung der Frage nach dem Geschlechterverhältnis in unsere Überlegungen und in die Forschung die Perspektive auf die Geschichte und die Gesellschaft und damit auch den Kanon des Wissens verändert – ohne damit behaupten zu wollen, dass es
eine
richtige Deutung und Lösung der Probleme gäbe. Somit gibt es auch nicht eine feministische Theorie oder
den
Feminismus, vielmehr unterschiedliche Ansätze und politische Theorien und – wie wir sehen werden – im Laufe der letzten 200 Jahre die verschiedensten Richtungen, politische und soziale Bewegungen von Frauen, die hier in ihren verschiedenen Ausrichtungen und ‹Wellen› vorgestellt und diskutiert werden.
Tatsächlich wurde der Terminus ‹Feminismus› erst in den1880er Jahren von französischen Frauenrechtlerinnen aufgebracht, und zwar von
Hubertine Auclert
(1848–1914), einer französischen Suffragette, die in der von ihr zwischen 1881 und 1891 herausgegebenen Zeitschrift
La Citoyenne
(Die Staatsbürgerin) den Begriff als politische Leitidee gegen den
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