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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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vor einem Reinfall bewahren. Ich kann die Intensität der Nutzung meines Autos nicht genau kennen und auch nicht die Entwicklung des Kraftstoffpreises einschätzen, weil dieser neben den nicht abschätzbaren weltweiten Energiereserven und dem technischen Fortschritt wesentlich auch von der Politik (besonders der Steuerpolitik) bestimmt wird, usw. Ich kann eben Glück oder Pech haben. Ich kann auch nicht beliebig viele Informationen einholen – so könnte mir eine wenig beachtete Studie entgehen, die nachweist, dass unter bestimmten Umständen (die für mich zufällig zutreffen) genau das von mir ins Auge gefasste Modell besonders anfällig ist (z. B. in einer feuchtwarmen oder sehr staubigen oder steinigen Umgebung). Schließlich gibt es rein mathematische Beschränkungen: Wenn mehr als zwei Faktoren nichtlinear miteinander wechselwirken (und das ist bei Entscheidungen meist der Fall), so ist das Problem nicht mehr mathematisch-analytisch lösbar, sondern höchstens durch Simulationen oder Näherungslösungen in den Griff zu bekommen. Es sind also erst einmal nicht behebbare Wissensdefizite, Beschränkungen an Zeit und materiellem Aufwand sowie Rechenbegrenzungen, die dem Rational-Choice-Vorgehen Grenzen setzen.
    Wir gelangen somit zum Begriff der »begrenzten Rationalität« ( bounded rationality ), wie er vom amerikanischen Entscheidungstheoretiker Herbert Simon (Nobelpreis 1978) geprägt wurde. Simon geht davon aus, dass die an sich optimale Rationalität durch eine Reihe von Faktoren eingeschränkt wird. Von einer wichtigen Einschränkung, nämlich der faktischen oder prinzipiellen Begrenzung der Kenntnisse von Neben- und Randbedingungen und der Berechenbarkeit unserer Entscheidung, haben wir schon gesprochen. Es gibt nach Simon aber weitere und psychologisch interessantere Begrenzungen. Hierzu gehören zum Beispiel (1) der »Besitztumseffekt«: Menschen tendieren dahin, dasjenige, was sie besitzen, in seinem Wert höher einzuschätzen als das, was sie durch Änderung ihres Handelns erreichen könnten, auch wenn der ökonomische Wert beider Güter objektiv gleich ist; (2) die Furcht vor dem Risiko bzw. das Beharrungsvermögen: Menschen tendieren dazu, ihr bisheriges Verhalten auch unter erheblichen Kosten fortzusetzen, wenn Verhaltensalternativen mit unkalkulierbaren Risiken verbunden sind; (3) Kurzsichtigkeit: Zeitlich nahe liegende Ereignisse haben subjektiv ein höheres Gewicht als zeitlich ferner liegende, und entsprechend werden nahe liegende Ziele eher verfolgt als ferner liegende – gleichgültig was eine abstrakte Rationalität dazu sagt; (4) »Satisficing«: Menschen betrachten in der Regel nur wenige Alternativen, meist nur zwei, und keineswegs alle, deren Erwägung vernünftig wäre. Sie hören mit dem Abwägen auf, wenn sie auf eine halbwegs befriedigende Lösung gestoßen sind, auch wenn durchaus die Chance besteht, dass es noch wesentlich günstigere Lösungen gibt.
    Auf einen weiteren interessanten Aspekt hat Hartmut Esser aufmerksam gemacht und ihn »Elias-Effekt« genannt, weil er auf Aussagen des deutschen Soziologen Norbert Elias zurückgeht: »Wenn die Konsequenzen des Tuns« – so Esser – »unübersichtlicher und teurer werden, dann werden die Menschen vorsichtiger und ›berechnender‹. Gibt es dagegen klare Fronten und ist mit Vorsicht, Nachdenken und ›rationaler‹ Kalkulation nicht viel zu gewinnen, dann kann man ungestraft seinen Affekten folgen. Mehr noch: Dann wird es oft buchstäblich lebenswichtig, nicht lange zu überlegen, was man tut«. Begrenzte Rationalität versteht Esser so: Menschliches Handeln geschieht nach einer Kosten-Nutzen-Rechnung unter Einschluss einer Abwägung des Nutzens von Rationalität und Affektivität. Der Einsatz von Verstand und Vernunft ist an einen ausreichenden Zugang zu Informationen gebunden, der begrenzt sein kann und Zeit und Aufwand erfordert. Die Kosten des Einsatzes von Verstand und Vernunft müssen also ebenfalls in Anschlag gebracht werden; manchmal ist es eben günstiger, spontan zu reagieren und nicht lange rational zu analysieren.
    Einen ganz ähnlichen Standpunkt vertritt der amerikanische Ökonom Gary S. Becker (Nobelpreis 1992): »Alles menschliche Verhalten kann . . . so betrachtet werden, als habe man es mit Akteuren zu tun, die ihren Nutzen, bezogen auf ein stabiles Präferenzsystem, maximieren und sich in verschiedenen Märkten eine optimale Ausstattung an Information und anderen Faktoren verschaffen.« Und Becker fährt

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