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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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davon ebenso wie die Trivialliteratur und Teile der »hohen« Literatur). Ein »Herzensmensch« ist in aller Regel höher angesehen als ein »Verstandesmensch«, insbesondere wenn der eine als »warm« und der andere als »kalt« angesehen wird. Geht es aber um komplexe Entscheidungen, insbesondere von großer Tragweite, dann appelliert man weiterhin intensiv an Verstand, Vernunft und Einsicht. Es würde merkwürdig klingen, wenn ein Kanzler oder eine Kanzlerin eingestünde, dass er/sie bei einer schwerwiegenden Entscheidung nicht seinem/ihrem Verstand, sondern seinem/ihrem Herzen gefolgt sei – das sagt man nur bei der Erklärung des eigenen Rücktritts.
     

KAPITEL 5
     
Ökonomie und Psychologie der
Entscheidungsprozesse

Die Theorie rationalen Handelns und ihre Kritik
     
    Seit dem Altertum heißt es, der Mensch solle sich in seinen Entscheidungen und seinen Handlungen von Verstand und Vernunft leiten lassen (s. Exkurs 2). Die moderne Variante dieser Maxime ist die Lehre vom »rationalen Handeln«, englisch »Rational Choice Theory« genannt. Nach dieser Lehre geht der Mensch bei seinen Entscheidungen und Handlungen möglichst ökonomisch vor (er wird deshalb auch Homo oeconomicus genannt), indem er eine gründliche Kosten-Nutzen-Rechnung anstellt und sich dabei vom Prinzip der Gewinn-Maximierung leiten lässt. Anders ausgedrückt, versucht er, mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Erfolg, Nutzen oder Lust zu erreichen. Hierzu setzt er geeignete Berechnungen, einen so genannten Nutzenkalkül ein, der ihm zeigt, wie er bei der Verwirklichung seiner Ziele optimal vorgeht. Ein solches Vorgehen wird als rational angesehen; irrational ist demnach ein Verhalten, das ein bestehendes Ziel mit falschen oder unzulänglichen Mitteln, am falschen Ort oder zur falschen Zeit zu verwirklichen sucht und deshalb ein suboptimales Ergebnis erzielt.
    Das hört sich plausibel an, und wer wollte das gegenteilige Verhalten anpreisen? Wenn ich ein möglichst zuverlässiges Auto möglichst günstig erwerben will, dann werde ich nicht zum nächstbesten Händler gehen und das nächstbeste Auto kaufen oder mir eines von meinem Nachbarn andrehen lassen, sondern mich z. B. über das Internet sorgfältig informieren, Freunde und Experten fragen, die Höhe der laufenden Kosten, der Versicherung und Steuer ermitteln usw. Das tue ich natürlich, nachdem ich überhaupt meine Vorstellungen über das zu erwerbende Auto eingegrenzt habe.
    Voraussetzung ist allerdings, dass ich (1) genau weiß, was ich vorrangig haben will oder tun werde, und auch weiß, was ich haben will oder tun werde, wenn das erste Ziel nicht zu verwirklichen oder bereits erreicht ist (wenn ich also eine Präferenzordnung besitze); dass ich (2) überhaupt Handlungsalternativen habe (wenn ich keine Wahl habe, brauche ich nichts optimieren); und dass ich (3) die Wahrscheinlichkeiten der Ereignisse kenne, die ich in Rechnung stellen muss. Zum Beispiel muss ich den Verbrauch meines zukünftigen Autos, sein Unfall- und Verschleißrisiko, die Höhe der Reparaturkosten und des Kraftstoffes, die Intensität der Nutzung bzw. Anzahl zu fahrender Kilometer kennen.
    Die Rational-Choice-Theorie sagt etwas über die zweckmäßigste Vorgehensweise aus, aber nichts über die Rationalität der Ziele, d. h. sie sagt, wie ich am besten entscheide oder vorgehe, um bestimmte Ziele zu erreichen, nicht aber, ob die Ziele selbst rational (oder begründet) sind. Im vorliegenden Beispiel könnte das Anschaffen eines Autos höchst irrational sein (ich besitze nämlich schon zwei Autos, oder ich habe gar keinen Führerschein), aber falls ich dennoch ein möglichst zuverlässiges Dritt-Auto möglichst günstig erwerben will, dann muss ich in einer bestimmten, maximal rationalen Weise vorgehen. Das gilt im Prinzip auch, wenn ich Papst werden will, einen Staatsstreich plane oder möglichst schnell bzw. kostengünstig von A nach B reisen will.
    Der deutsche Soziologe Max Weber hat den Begriff »Zweckrationalität« geprägt und meinte damit ein nüchtern-rationales Streben nach Verwirklichung eines Ziels, das nicht durch Irrtum oder starke Gefühle getrübt wird. Er hat diese Zweckrationalität von der »Wertrationalität« unterschieden. In den Worten eines anderen deutschen Soziologen, Hartmut Esser, heißt dies: Jeder Handelnde ist konfrontiert mit einer klar definierten Menge von Handlungsalternativen. Er verfügt zugleich über eine klar definierte, konsistente und vollständige Präferenzordnung

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