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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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fort: »Trifft dieses Argument zu, dann bietet der ökonomische Ansatz einen einheitlichen Bezugsrahmen für die Analyse menschlichen Handelns, wie ihn Bentham, Comte, Marx und andere seit langem gesucht, aber verfehlt haben«. Becker betont aber – und dass ist für das Folgende sehr wichtig –, dass es bei seinem Ansatz nicht um eine bewusst-denkende Rationalität geht, sondern um eine tiefere Rationalität des Handelns, wie sie auch die Verhaltensökologie vertritt (s. weiter unten in diesem Kapitel). So heißt es bei ihm: »Der ökonomische Ansatz ist daher vereinbar mit der Betonung des Unbewußten in der modernen Psychologie oder mit der Unterscheidung von manifesten und latenten Funktionen in der Soziologie . . .«.
    Ein weiterer prominenter Kritiker der Rational-Choice-Theorie ist der Bonner Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Reinhard Selten (Nobelpreis 1994). Er kritisiert ähnlich wie Herbert Simon im Sinne einer »Bounded Rationality« die klassische Rational-Choice-Theorie. Für Selten ist die »eingeschränkte Rationalität« nicht einfach eine schwächere Version der »starken Rationalität«, sondern von ihr »strukturell verschieden«. Eines seiner Hauptargumente lautet, dass Menschen nicht in der Lage sind, alle ihre Handlungen auf der Grundlage eines Nutzenmaximierungskalküls durchzuführen. Häufig wissen Entscheider gar nicht genau, was sie eigentlich wollen. Ihre kognitiven Fähigkeiten reichen zudem bei weitem nicht aus, Risiken genau einzuschätzen oder Wahrscheinlichkeiten genau zu bestimmen, vielmehr lassen sie sich bei der Suche nach Entscheidungsmöglichkeiten von groben qualitativen Kriterien leiten und suchen möglichst einfache Lösungen.
    Emotionen – so vermutet Selten – spielen eine große Rolle im Entscheidungsverhalten, indem sie zum Beispiel die Aufmerksamkeit gegenüber möglichen Risiken stark einschränken oder zumindest verändern. In die emotional-soziale Richtung geht auch die Suche nach einer sozial vertretbaren oder ausgewogenen Lösung oder nach Kooperationen, selbst wenn eindeutig optimale Lösungen ohne Kooperation zu erreichen wären. Menschen sammeln aufgrund ihrer bisherigen Entscheidungen bestimmte Erfahrungen, mithilfe derer sie für zukünftige Entscheidungen und Handlungen ein bestimmtes »Anspruchsniveau« entwickeln, das sie jeweils an den Erfolg oder Misserfolg anpassen. D. h. Lösungen werden in realen Entscheidungssituationen meist nicht streng rational, sondern anhand von Erfahrungen in vergleichbaren Situationen gesucht, und es wird intuitiv entschieden. Schließlich kann zwischen konkurrierenden Handlungszielen gar nicht rational entschieden werden, weil diese Ziele nicht quantitativ verglichen werden können. Auch hier kann der Entscheider nur emotional vorgehen – zum Beispiel prüfen, mit welcher Lösung er besser leben kann.

Entscheidungs-Heuristiken
     
    Wichtig sind in diesem Zusammenhang Untersuchungen zu der Frage, wie Menschen denn tatsächlich in einfachen oder komplexen Situationen entscheiden und mit Unsicherheiten – Risiken – umgehen. Hierzu führten und führen Reinhard Selten und der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer jeweils umfangreiche teils theoretische, teils empirische Studien durch, aber auch aus anderen Forschergruppen gibt es dazu inzwischen eine Reihe hochinteressanter Ergebnisse.
    Gigerenzer und seine Kollegen gehen von der Feststellung aus, dass es in komplexen Entscheidungssituationen aus den oben genannten Gründen nicht nur unmöglich ist, alle relevanten Erkenntnisse und Faktoren zu berücksichtigen, sondern dass auch eine solche umfassende Berücksichtigung häufig gar keinen Vorteil bringt. Gigerenzer umschreibt dies mit dem Prinzip »Weniger ist mehr«, d. h. ein immer umfassenderes Wissen stört eher, als dass es nutzen würde. Diese auf den ersten Blick überraschende Feststellung ist auf den zweiten Blick einleuchtend. Stellen wir uns vor, wir seien ein wichtiger Entscheidungsträger und müssten entsprechend eine Entscheidung von großer Tragweite treffen, z. B. ob die Mehrwertsteuer nochmals erhöht werden sollte, oder ob man ein bestimmtes Konkurrenzunternehmen aufkauft. Da wir das niemals allein entscheiden können oder wollen, lassen wir uns beraten. Experten-Gutachten werden angefertigt, Anhörungen durchgeführt, mit unterschiedlichen Interessengruppen wird geredet, und es breitet sich in aller Regel umso mehr Ratlosigkeit aus, je länger dieser Abwägungsprozess dauert. Am Anfang war

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