Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
und erst komplizierte Modellierungen zeigen, dass dies auf lange Sicht unter Berücksichtigung der Nachteile (Energieaufwand beim Sammeln, Schutz vor Feinden, Konkurrenz, Ausbeutung der Nahrungsressourcen) durchaus als optimales Entscheidungsverhalten zu sehen ist. Ein Beispiel hierfür ist die Nahrungssuche bei Vögeln. Bestimmte Vögel nisten in einem Gebiet, das gut gegen Feinde geschützt ist, in dessen Nähe es aber nur wenig oder nur kalorienarme oder schwer zu handhabende Nahrung gibt. Es gibt aber einen Platz, an dem sehr schmackhafte bzw. kalorienreiche Nahrung zu finden ist. Dies ist sehr vorteilhaft, denn besonders bei Weibchen hängt die Frage, ob sie sich im laufenden Jahr reproduzieren können, von intensiver Nahrungsaufnahme ab. Dieser Platz liegt aber weiter entfernt, und der Vogel muss sich durch ungeschütztes Gelände bewegen, wo er mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit das Opfer von Fressfeinden wird.
Soll nun das Tier es riskieren, den entfernteren Futterplatz aufzusuchen, weil der Nutzen, nahrhafte Beute schnell zu sich nehmen zu können (oder für die Nachkommen zu sammeln), das Risiko aufwiegt, gefressen zu werden? Oder soll es sich lieber mit der weniger wertvollen Nahrung in der Nähe begnügen? Schließlich kann der vorteilhafte Futterplatz so weit entfernt sein, dass sich der energetische Aufwand, der nötig ist, um dorthin zu fliegen, kaum mehr lohnt. Auch muss sich das Tier an diesem Platz eventuell mit Nahrungskonkurrenten auseinandersetzen, was ebenfalls energiezehrend ist. Solche Kosten-Nutzen-Rechnungen können also ziemlich kompliziert sein, aber man kann, wenn man viele empirische Daten hat, diese in eine Kosten-Nutzen-Gleichung einsetzen und dann eine Optimalitätsberechnung anstellen. Es stellt sich dann eine ganz bestimmte Strategie als optimal (d. h. als bester Kompromiss ) heraus, z. B. einen Futterplatz dann anzufliegen, wenn er nicht zu weit entfernt ist, wenn der Feinddruck nicht zu hoch ist und der Kampf um das begehrte Futter nicht zu kräftezehrend. Andernfalls begnügt man sich mit dem Futter in der Nähe, auch wenn es mühsamer zu gewinnen oder weniger kalorienhaltig ist.
Eine andere sehr aufschlussreiche Untersuchung befasste sich ebenfalls mit komplexem Entscheidungsverhalten von Vögeln (Davis und Todd, in Gigerenzer et al., 1999). Diesmal ging es um ein Problem, vor das Vogeleltern viele Male täglich gestellt sind, wenn sie eine Reihe von Jungen (»Nestlingen«) aufziehen müssen, nämlich in welcher Reihenfolge sie die hungrigen und bettelnden Jungen füttern sollen. Folgende Strategien bieten sich rein theoretisch an: (1) Man fängt beim kleinsten Jungen an und hört beim größten auf; (2) man macht es genau umgekehrt; (3) man fängt beim Jüngsten an und hört beim Ältesten auf; (4) man macht es genau umgekehrt; (5) man fängt bei dem an, der am stärksten bettelt und vermutlich am hungrigsten ist; (6) man legt irgendeine Reihenfolge fest (z. B. im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn, falls eine solche Anordnung anwendbar ist), und hält an dieser unter allen Umständen fest; (7) man füttert in zufälliger Reihenfolge. Man kann nun mithilfe von Verhaltensmodellen ausrechnen, welche dieser Strategien bei unterschiedlichen Graden der Verfügbarkeit von Futter die beste ist, und dann überprüfen, ob die Vogeleltern sich »modell-konform« verhalten oder nicht. Gemessen wird der Erfolg der Fütterungsstrategie am Überlebenserfolg der Jungen, d. h. deren Erreichen des Fortpflanzungsalters.
Wie man sich leicht überlegen kann, ist jede dieser Strategien gleich gut, wenn Futter ausreichend da ist. Ist Futter aber sehr knapp, so erweist es sich als beste Strategie, entweder den jüngsten oder den größten zuerst zu füttern. Ist das Futter weder besonders knapp noch besonders reichlich, dann ist es am besten, den kleinsten Nestling zu füttern. Den Hungrigsten zu
füttern ist hingegen fast immer eine schlechte Strategie. Die Überprüfung an der Realität ergab, dass sich die Vogeleltern weitestgehend an diese Strategie halten; anhand welcher Prinzipien sie dies tun, ist aber nach wie vor unklar.
Ähnliche empirische Untersuchungen bestätigen, dass sich in vielen untersuchten Fällen Tiere tatsächlich im Sinne des Modells optimal verhalten und sogar in voraussagbarer Weise ihr Verhalten ändern, wenn sich einige Variablen in der Gleichung ändern (z. B. Entfernung, Feinddruck). Die Tiere werden also so betrachtet, als ob sie komplizierte
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