Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
erhebt sich automatisch die Frage, was man dagegen tun kann, wenn man überhaupt noch etwas tun kann. Manche Experten und viele Laien rufen dann nach »Radikallösungen«, aber viele andere warnen davor, weil dadurch alles noch viel schlimmer werde. Wieder andere sind zwar für »Radikallösungen«, sehen sie aber »unter den gegebenen politisch-gesellschaftlichen Bedingungen« als nicht machbar an. Was aber würde passieren, wenn solche Lösungen plötzlich doch möglich wären?
Einer der originellsten deutschen Psychologen, Dietrich Dörner von der Universität Bamberg, hat sich dieser Frage schon vor längerer Zeit angenommen und zusammen mit seinen Mitarbeitern Fantasieländer wie »Tanaland« oder Fantasieorte wie »Lohhausen« erfunden, und sie als Computerspiele etabliert (und dies zu einer Zeit, als so etwas noch gar nicht in Mode war!). Die hiermit gewonnenen Forschungsergebnisse hat er in seinem Buch »Die Logik des Misslingens« von 1989 zusammengefasst.
»Tanaland ist ein Gebiet irgendwo in Ostafrika. Mitten durch Tanaland fließt der Owanga-Fluss, der sich zum Mugwa-See verbreitert. Am Mugwa-See liegt Lamu, umgeben von Obstplantagen und Gärten und von einer Waldregion. In und um Lamu wohnen die Tupi, ein Stamm, der von Ackerbau und Gartenwirtschaft lebt. Im Norden und im Süden gibt es Steppengebiete. Im Norden, in der Gegend um den kleinen Ort Kiwa, leben die Moros. Die Moros sind Hirtennomaden, die von Rinder- und Schafzucht und von der Jagd leben.«
Das Simulationsmodell enthält Daten über die Landesnatur, die Tiere und die Menschen und ihre Beziehungen untereinander. Das Leben in Tanaland ist kärglich, die Kindersterblichkeit hoch, ebenso die Stechmückenplage und die Gefährdung der Rinder. Nun haben 12 Versuchspersonen die Möglichkeit, diesen Ausgangszustand zu verbessern, und zwar für einen Zeitraum von zehn Jahren. Sie haben innerhalb dieses Zeitraums sechsmal zu frei gewählten Zeitpunkten (nahezu) unbeschränkte Eingriffsmöglichkeiten in Form der Veränderung der Infrastruktur, des Gesundheitssystems, der Natur und der Geburtenkontrolle und können bestimmte negativ verlaufende Entwicklungen beim nächsten Eingriff wieder rückgängig machen.
Die Ergebnisse der virtuellen Regierungstätigkeit der Versuchspersonen waren höchst unterschiedlich, endeten aber in der Mehrzahl in irgendeiner Art von humanitärer, ökonomischer oder ökologischer Katastrophe. Ein Vorteil der Simulation ist, dass man das Fehlverhalten der Versuchspersonen genau analysieren kann. Dieses Fehlverhalten war von sehr genereller Natur, so dass man es durchaus als exemplarisch für den Umgang von Menschen mit komplexen Systemen nehmen kann. Die gröbsten Fehler lauteten: (1) Loslegen mit »Reform-Maßnahmen« ohne ausreichende vorherige Situationsanalyse; (2) Nichtberücksichtigen der gegenseitigen positiven oder negativen Beeinflussung der meisten Faktoren und Maßnahmen; (3) Konzentration auf das unmittelbare Geschehen und Nichtberücksichtigen von Fern- und Nebenwirkungen der ergriffenen Maßnahmen; (4) der starre Glaube, die richtige Methode zu besitzen; (5) Flucht in neue Projekte, wenn etwas schief zu gehen droht; (6) Ergreifen immer radikalerer Maßnahmen, wenn Dinge aus dem Ruder laufen.
Ähnliche Ergebnisse erzielte die Simulation von Lohhausen.
»Lohhausen ist eine kleine Stadt mit etwa 3700 Einwohnern, die irgendwo in einem deutschen Mittelgebirge liegt. Die wirtschaftliche Situation von Lohhausen ist durch die städtische Uhrenfabrik bestimmt. Diese gibt den meisten Bewohnern von Lohhausen Arbeit und Brot. Darüber hinaus aber finden sich in Lohhausen noch andere Institutionen, natürlich gibt es Einzelhandelsgeschäfte verschiedener Art, es gibt eine Bank, Arztpraxen, Gasthäuser usw.«
In diesem Computerspiel durften insgesamt 48 Versuchspersonen »Bürgermeister« spielen und waren dabei mit großer Machtfülle ausgestattet, weit mehr, als einem realen Bürgermeister in der Regel zukommt. Zum Beispiel konnten die »Bürgermeister« Steuern erhöhen oder senken, in das Freizeitverhalten, den Wohnungsmarkt, den Arbeitsmarkt usw. eingreifen – und das alles »zum Besten von Lohhausen«! Dies konnten sie in 8 »Eingreifsitzungen« während virtueller 10 Jahre tun.
Es zeigte sich, dass wiederum nur ein Teil (ca. die Hälfte) der Personen mit dem hohen ökonomisch-ökologisch-politischen Vernetzungsgrad der nur scheinbar kleinen Stadt einigermaßen zurechtkamen, die anderen aber
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