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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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Berechnungen anstellten. Gleichzeitig weiß man natürlich, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass sich die zum Teil komplizierten Verhaltensweisen oder gar Mischstrategien evolutiv herausgebildet haben. Wie kann man sich dies erklären?
    Die Erklärung der Verhaltensökologen lautet: Tiere tun dasjenige angeborenermaßen, was sich im Laufe einer langen Evolution und damit langfristig als die optimale Strategie erwiesen hat. Dies ergibt sich einfach dadurch, dass alle Tiergruppen, die sich anders und damit suboptimal verhielten, ausgestorben sind. Nimmt man eine schnelle Generationenfolge, einen hohen Selektionsdruck und eine genügend lange Zeit an, so kann auf diese Weise ein sehr komplexes Verhaltensmuster entstehen, das – wie bereits erwähnt – optimal im Sinne der Rational-Choice-Theorie ist.
    Dabei können manche dieser optimalen Verhaltensweisen auf den ersten Blick sogar irrational erscheinen. Dies gilt für viele Formen des »Altruismus« bei Tieren, also für Verhaltensweisen, bei denen Individuen Nachteile wie den Verzicht auf eigene Nachkommenschaft oder gar den eigenen Tod in Kauf nehmen, während die Gruppe insgesamt besser überleben und sich fortpflanzen kann. Diese Tatsache ist nicht mehr so verwunderlich, wenn man weiß, dass es sich dabei immer um Verwandte handelt (es handelt sich also um einen gemeinsamen »Gen-Pool« und damit um ein »gen-egoistisches« Verhalten), und dass Tiergruppen, die regelmäßig derart »altruistische« Individuen hervorbringen, eine höhere Überlebenschance haben und sich dadurch automatisch in der Gesamtpopulation ihres Lebensraums durchsetzen. Das heißt, nicht die altruistischen Individuen selbst, aber ihre Gene, die sie mit den Verwandten teilen, haben einen Vorteil. »Wahren« Altruismus unter nicht verwandten oder nicht gemeinsam aufgewachsenen (quasi-verwandten) Tieren scheint es im Tierreich nicht zu geben.
    Sorgfältige ethnologische Untersuchungen von Gesellschaften und Bevölkerungsgruppen auf dieser Erde, welche die Segnungen der modernen Zivilisation und Wissenschaft noch nicht erfahren haben, enthüllen übrigens ähnliche Verhältnisse: Gebräuche im Zusammenhang mit Heiratssitten, Aufzucht der Nachkommenschaft, Beschaffung von Nahrung usw., die uns manchmal merkwürdig vorkommen, erweisen sich nach komplizierten Modellrechnungen als (relativ) optimal im Sinne der Überlebenschancen einschließlich der Schonung der natürlichen Ressourcen. Interessant ist, dass solche Gebräuche oft in Form »heiliger« Vorschriften auftreten (die Götter oder Ahnen wollen es so!) und kein Beteiligter in der Lage ist, deren eigentliche Zweckmäßigkeit zu benennen. Eine solche optimale Verhaltensweise setzt relativ konstante oder rhythmisch sich verändernde Umwelten voraus. Verhängnisvoll wird es dann, wenn sich die Umweltbedingungen unvorhersehbar schnell ändern, z. B. aufgrund des Einflusses der modernen Zivilisation. Dann lachen wir gern über das irrationale Verhalten der Betroffenen, aber wir vergessen dabei, dass es auch in unseren Ländern viele Gebräuche und Denkweisen gibt, die irgendwann einmal einen Sinn hatten, heute aber sinnlos geworden sind (die Silvesterknallerei ist ein harmloses Beispiel dafür, das Gewalt- und Dominanzverhalten junger Männer ein weniger harmloses).

Der Umgang mit komplexen Geschehnissen
     
    Wir haben soeben gehört, dass Tiere, die vielleicht Bewusstsein, aber bestimmt keine aufwändigen mathematischen Methoden und leistungsfähigen Computer besitzen, in ihrem Verhalten Probleme lösen, die auch einem gewieften Entscheidungstheoretiker einiges abverlangen. Menschen haben aber gerade wegen ihrer Mathematik und insbesondere durch leistungsfähige Computer eine Möglichkeit, welche die Tiere nicht haben: Sie können komplexe Probleme simulieren und damit nach der besten Lösung suchen. Wenn die Simulationsmodelle gut sind, kann man heutzutage in wenigen Stunden oder maximal Tagen äußerst komplexe Szenarios durchrechnen, z. B. die Wirtschaftsentwicklung der nächsten drei Jahre oder die Zukunft des Klimas einschließlich des Meeresspiegels in den nächsten hundert Jahren. Mühsam ist dabei im Wesentlichen das Sammeln verlässlicher aktueller und historischer Daten – das kann Monate oder Jahre dauern.
    Wenn man bei solchen »Groß-Simulationen« feststellt, dass sich bestimmte Dinge zum Schlechten hin entwickeln (etwa erhebliche Engpässe bei der Energieversorgung oder ein drastischer Anstieg des Meeresspiegels), dann

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