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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Probst
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bequeme Hosen, Sandalen und eine kurzärmelige Bluse. Um den Kopf hatte sie sich ein rotweiß kariertes Tuch gebunden.
    »Dein Staubsauger ist kaputt.«
    »Nein, ich muss nur neue Beutel besorgen.«
    »Das übernehme ich. Ich mache morgen sowieso einen Großeinkauf. Dein netter, thailändischer Freund fährt mich.«
    Schwarz schaute schweigend zu, wie sie einen blauen Müllsack aus der Küche holte. Sie zog das linke Bein noch leicht nach, die Lähmung ihres Arms hingegen war offenbar verschwunden: Energisch begann sie, Zeitungen in den Müllsack zu stopfen.
    Schwarz schrie auf. »Was machst du da?«
    »Ich räume auf.«
    »Das ist mein Archiv. Ich sammle diese Artikel seit zwanzig Jahren.«
    »Und, hast du je wieder einen gelesen? Anton, in deinem Alter wird es langsam Zeit, sich von den Dingen zu trennen:
Leichentücher werden ohne Taschen genäht

    »Leichentücher? Ich bin noch keine fünfzig.«
    »Dafür aber ganz schön verschroben. Du lässt mich jetzt besser allein und heute Abend erkennst du dein Loft nicht wieder.«
    Genau das war seine Befürchtung.
    »Ein Scherz«, sagte seine Mutter und lächelte sanft. »Ich taste deine Schätze schon nicht an, Tonele.«
     
    Von Schwarz’ Wohnung in der Landsberger Straße unweit des Pasinger Marienplatzes bis zur Stelle, wo Tim Burger auf den Gleisen gestorben war, brauchte ein durchschnittlicher Radfahrer etwa zwanzig Minuten. Schwarz hatte keinen Ehrgeiz, diese Marke zu unterbieten, schließlich war er nicht wegen einer Kindesentführung oder eines Bankraubs mit Geiselnahme unterwegs, sondern nur wegen eines lästigen Alptraums. Am Laimer Bahnhof wechselte er die Straßenseite und durchquerte die düstere Röhre unter den Bahngleisen.
    Wieder musste er an jenen Tag Ende Mai denken. Alser damals hier angekommen war, hatten hunderte Schüler, Studenten und Familien mit Kindern den Verkehr zum Erliegen gebracht. Er war einer der wenigen gewesen, der die friedliche und heitere Stimmung nicht teilen konnte, weil er wusste, dass sich ein potentieller Attentäter unter die Demonstranten gemischt hatte.
     
    Einen Kilometer nach der Unterführung erreichte Schwarz den Park. Er lehnte sein Fahrrad an einen Baum unterhalb des Bahndamms. An dieser Stelle hatte er Tim Burger während der Verfolgungsjagd kurz aus den Augen verloren. Er fand das Loch im Maschendrahtzaun sofort wieder, schlüpfte hindurch und stieg zur Gleisanlage hoch.
    Oben ließ er seinen Blick schweifen. Etwa dreißig Gleise liefen hier nebeneinander her. Die meisten mündeten in den Münchner Hauptbahnhof, nur ein paar wenige zweigten zum Südring ab.
    Burger war in westlicher Richtung schräg über die Gleise gerannt und hatte, ohne zu zögern, auf einen von rechts kommenden Güterzug zugehalten.
    Wo genau war es zu dem tödlichen Zusammenprall gekommen?
    Es war auf der Strecke zum Südring gewesen, aber auf welchem Gleis wusste Schwarz nicht mehr. Dabei war er nach dem Unfall noch bis zur Bergung der Leiche vor Ort geblieben. Außerdem stellte Schwarz verwundert fest, dass es inzwischen auch zeitliche Lücken in seiner Erinnerung gab. Die letzten Sekunden vor Burgers Tod fehlten ihm komplett.
     
    Er setzte sich auf das alte Fundament eines abgerissenen Schuppens. Züge fuhren an ihm vorbei. Die meisten drosselten ihr Tempo vor dem nahen Bahnhof deutlich, nur einige,die südlich an der Innenstadt vorbeifuhren, gingen mit kaum verminderter Geschwindigkeit in die langgezogene Rechtskurve.
    Trotzdem, dachte Schwarz, wenn hier einer heil auf die andere Seite gelangen will und die Augen offen hält, schafft er das auch. Es gab keinen Zweifel: Burger hatte sterben wollen.
    Gedankenverloren fuhr er mit den Fingern über die Betonfläche neben seinem Oberschenkel. Plötzlich stutzte er und schaute, was er da ertastet hatte.
    Ein Hakenkreuz?
    Schwarz stand auf und trat einen Schritt zurück. Das alte Fundament war über und über mit teils geritzten, teils gesprayten Zeichen und Wörtern bedeckt: »Heldengedenk stätte Tim Burger« stand da – umrahmt von S S-Runen , dem eisernen Kreuz und der Zahl 88 als Code für »Heil Hitler«. Außerdem gelobte eine »Kameradschaft Isar« den »Kampf bis in den Tod«. Anton Schwarz verzog angewidert das Gesicht und wollte schon gehen, als ihm eine weitere Inschrift in die Augen stach: »Tötet Engler!«
    Engler? War das nicht der Lokführer, dem Tim Burger vor den Zug gelaufen war? Ausgerechnet er konnte nun wirklich nichts dafür, er war selbst ein Opfer. Es war absurd,

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