Personenschaden
nüchtern und eher untertreibend. Rudi Englers Gesichtausdruck wechselte zwischen ungläubigem Staunen und heller Empörung. »Das ist nicht wahr!«, rief er. »Was für eine Schweinerei.«
»Er hat vielleicht gedacht, das ist er seinen Chefs schuldig.«
»Meinen Sie?« Plötzlich hellte seine Miene sich auf. »Ja, natürlich, die haben ihn wahrscheinlich sogar mit den Manipulationen beauftragt.«
Schwarz schaute skeptisch.
»Der Vorstand hat doch alles daran gesetzt, dass der Börsenwert der Bahn nicht noch weiter sinkt. Genau, das ist die Erklärung.«
»Dazu wird es sicher eine Untersuchung geben.«
»Herr Schwarz, wir müssen Beweise finden, mit denen wir diesen Leuten das Handwerk legen. Es darf nicht passieren, dass die Großen wieder mal davonkommen und die Kleinen gehängt werden. Lassen Sie Thomas da draußen.«
»Das wird nicht möglich sein, Herr Engler. Ihr Enkel hat einen Menschen getötet. Mit Ihrer Pistole.«
Schwarz registrierte besorgt, dass der alte Mann bleich wurde und hyperventilierte. »Mit meiner P 38, sagen Sie?«
Schwarz konnte schwer einschätzen, wie belastbar Engler war. Trotzdem fuhr er fort. »Thomas hatte, als er zum Schanzberghof fuhr, vermutlich einen Plan.«
»Wahrscheinlich hatte er Angst und wollte diesem Grenzebach nicht unbewaffnet gegenübertreten.«
Schwarz nickte. »So habe ich es mir auch erklärt – bis ich die gefälschten Meinungsumfragen entdeckt habe. Herr Engler, Sie sollten der Wahrheit ins Auge sehen. Ihr Enkel wollte um jeden Preis verhindern, dass seine Machenschaften ans Licht kommen – deswegen hat er getötet.«
Engler wirkte mit einem Mal unendlich müde und ließ sich auf eine Bank sinken. Er starrte schweigend vor sich hin. Als er aufsah, hatte er Tränen in den Augen. »Ich begreife nicht, warum wir ihn verloren haben. Er war ein so begabter Junge. Vielleicht hätten wir ihn nicht so bewundern dürfen. Haben wir seinen Verstand zu sehr und sein Herz zu wenig gefördert? Oder gibt es einfach Menschen, die anders sind?«
Schwarz wusste nicht, was er darauf antworten sollte.
Plötzlich stand Engler auf und sah ihm in die Augen. »Wenn Thomas tatsächlich ein Mörder ist, muss er dafür zur Rechenschaft gezogen werden.«
56.
Am nächsten Morgen erklärte seine Mutter, sie werde mit zum Flughafen kommen. »Ich kenne Eva zwar noch nicht lange, aber sie hat mir gefehlt.«
»Ich glaube, sie wollte, dass
ich
sie abhole.«
»Ja, klar, weil du ein Auto hast.«
»Sie hat
mich
angerufen.«
»Na, weil ich keins habe.«
Schwarz seufzte. »Also gut.«
Seine Mutter betrachtete ihn irritiert. »Ich störe euch doch nicht?«
Mich schon, dachte Schwarz, ich würde Eva lieber allein willkommen heißen. Aber er sagte: »Nein, sie freut sich bestimmt, wenn du dabei bist.«
Sie musterte ihn. »Die halbe Wahrheit ist meistens eine ganze Lüge.«
»Mama, wirklich …«
»Jetzt hau schon ab, nicht, dass sie warten muss.«
Schwarz konnte sich nicht erinnern, dass sein Alfa jemals im entscheidenden Moment gestreikt hätte. Einzelne Teile schon: die Heizung, die Klimaanlage, die Zentralverriegelung – aber doch nie der ganze Wagen.
»Das klingt leider sehr tot«, sagte Jo, den er in seiner Not zu Hilfe gerufen hatte. »Aber ein Cousin von mir war in Saigon Mechaniker. Ich rufe ihn gleich an, damit er …«
Da war Schwarz bereits auf dem Weg zum Pasinger Bahnhof. Er erreichte die S-Bahn in letzter Sekunde. Nach exakt einundvierzig Minuten stieg er am Flughafen aus.
Ist es nicht wunderbar, dachte er, wenn ein Zug pünktlich ist?
Nicht pünktlich war Evas Air France-Flug, er hatte eine halbe Stunde Verspätung. Schwarz nutzte die Zeit und kaufte eine langstielige Rose – keine rote, sondern eine weiße, um Eva nicht in Verlegenheit zu bringen. Aber war eine einzelne Blume nicht ein bisschen armselig? Er durchforstete die Läden im Zentralbereich des Flughafens und entschied sichschließlich für Pralinen. Die Verkäuferin erriet, dass das Geschenk für eine Dame bestimmt war, und schlug die
zartschmelzenden Trüffel
vor.
Kaum, dass Schwarz die Packung in der Hand hielt, meldete sich unüberhörbar sein leerer Magen. Er kaufte einen Bagel mit Frischkäse und Lachs. Hinterher ging es ihm besser, allerdings störte ihn ein leichter Nachgeschmack. Es war nicht ausgeschlossen, dass Eva ihn zur Begrüßung küsste, da wollte er auf keinen Fall nach Fisch riechen. Glücklicherweise führte die Flughafenapotheke Zahnpflege-Sets für Reisende.
Schwarz
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