Pesch, Helmut W.
Höhlensystem in sich zusammen.
Siggis Rechte berührte Laurion. Seine Hand umfasste den Arm des Lios-alf.
»Laurion!« Siggis Stimme war voller Angst. »Was ist das?«
Der Lichtalbe schien aus einem Traum zu erwachen. Es wirkte, als habe ihn Siggis Berührung geweckt.
»Ymirs Unheilsquell. Der Blasenbrodler wird er genannt, Drudgelmir. Viele von uns glaubten, er sei nur eine Legende aus dem Anbeginn der Zeit, aber fühlt doch, die Elemente regen sich, erwachen und werden uns verschlingen.«
Siggi hielt nach wie vor den Arm Laurions umklammert. Und mit jeder Sekunde schien in dem Krieger der Lios-alfar wieder das Kämpferherz zu erwachen. Sein Blick klärte sich; die Resignation wich aus seinen Zügen.
»Kommt, vielleicht haben wir noch eine Chance«, sagte Yngwe.
»Es ist unsere letzte Hoffnung.«
Siggi atmete auf. Die Lios-alfar hatten sich noch nicht aufgegeben. Der Kampf würde aufs Neue beginnen, und durch das Beispiel ihrer Begleiter schöpften auch Gunhild und er wieder neue Kraft.
Laurion übernahm wieder die Führung. Die Brauen in voller Konzentration zusammengezogen, versuchte er, so schnell er es vermochte, sie von hier wegzubringen. Der schwankende Boden machte es schwerer, die Fallen zu erkennen, aber Laurion gab sein Bestes. Der Gang führte schnurgerade von der Kreuzung weg, wo sie dem Stein entkommen waren – nur, wie es schien, um einer noch größeren Gefahr in die Arme zu laufen.
Siggi wagte sich gar nicht vorzustellen, was Ymirs Unheilsquell ihnen bringen würde. Er hatte nicht gewagt zu fragen, was ›Schlimmeres‹ bedeutete, als Laurion von den Fallen erzählte. Bald würden sie nun erfahren, was schlimmer war als vergiftete Speerspitzen, Felsnadeln oder riesige Steinkugeln.
Hinter ihnen grummelte es bedrohlich, und dann explodierte es.
Eine plötzliche Druckwelle riss sie von den Füßen. Direkt hinter ihnen an der Weggabelung zersprang der Fels wie Glas.
Als sie sich aufrappelten, sah Siggi das Unfassbare, und er erstarrte. Wie gebannt blickte er zurück zu der Stelle, wo der Fels gebor-sten war.
Aus der Felswand quoll etwas, das Siggi zunächst für etwas Lebendiges hielt, wie eine riesige Amöbe, einen sich windenden Einzel er von der Größe eines Dinosauriers.
Es war schwarz, Feuerlanzen schossen daraus hervor, ätzender, schwarzer Qualm war die Folge.
»Die Elemente …«, entfuhr es Laurion. »Feuer, Wasser, Luft und Erde.«
Jetzt erkannte Siggi, was es war. Es war so widersinnig, dass er sich weigerte zu glauben, was er mit eigenen Augen sah. In Drudgelmir vereinigten sich die vier Elemente: Erde mit Wasser gemischt, ergab diese schwarze Masse, aber dieser Schlamm brannte, stieß Feuerlanzen und Rauch hervor.
Ihr Gang führte leicht bergauf, aber das schien das Monster überhaupt nicht zu beeindrucken. Es kroch durch die Bresche, bis es den Gang völlig ausfüllte, und kam langsam und unaufhaltsam wie eine Lawine auf sie zu.
Yngwe riss Siggi und Gunhild aus ihrer Erstarrung. »Nur weg hier!« Der Schrecken in seiner Stimme war kaum zu überhören.
»Kommt!«, rief Laurion.
Sie rannten los.
Konnten sie es schaffen, dieser Lawine zu entkommen? War das überhaupt möglich? Siggi glaubte nicht daran, aber etwas hielt ihn auf den Beinen. Der Hammer und der Ring, das waren die Quellen seiner Kraft, die ihn weiter vorwärts trieben, Laurion dicht auf den Fersen.
War der Krach des Felsens schon nervenzerfetzend gewesen, war das, was aus Drudgelmir hervorkam, noch eine Steigerung. Schmatzendes Saugen war der Grundton, die Flammenzungen klangen wie das Zischen einer Schlange, und alles zusammen bildete den Satz einer Sinfonie des Todes.
Dann erreichte sie der Gestank. Es war eine Mischung aus allem, was schrecklich roch und Übelkeit erregte. Verwesung, Fäulnis, Tod; all das vereinte sich in Drudgelmir und seinen Ausdünstun-gen. Es war, als wehe ihnen der Pesthauch von Ymirs verwesendem Leib direkt ins Gesicht. Es war der Odem des Verderbens.
Sie folgten dem Gang, der immer noch anstieg, aber das Monster, das den Gang hinter ihnen ausfüllte, ließ sich dadurch nicht aufhalten. Es folgte ihnen, wie ein Jäger, der seine Beute in die Enge treibt.
Den Tod, der ihnen die Felsen oder eine Falltür gebracht hätte, war kurz und wohl eher schmerzlos, aber welche Schrecken mochte sie erwarten, wenn sie von diesem Wesen aus brodelnden Schlamm und dieser Lawine von Felsen, Flammen und Gasen aufgesogen und verschlungen wurden?
Das Nächste, was sie erreichte, war der
Weitere Kostenlose Bücher