Pesch, Helmut W.
ersten Mal bewusst wahr, wie gut das Silbergrau ihrer Kleidung als Tarnung vor dem grauen Fels wirkte. Im fahlen Licht musste man schon genau hinsehen und dazu wissen, wo jemand war, um ihn erkennen zu können.
»Auf geht’s«, sagte Laurion und übernahm wieder die Führung.
Siggi und Gunhild folgten ihm im Gänsemarsch.
Siggis Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Er ertappte sich mehrfach dabei, wie seine Rechte nach dem Hammer oder dem Ring tastete, um wieder das Gefühl der Sicherheit zu bekommen.
Gunhild blieb immer noch stumm.
Schritt für Schritt drangen sie tiefer in den Gang ein. Trotz der Aussage des Spähers, dass keine Fallen mehr drohten, hüteten sich alle, die Wände des immer enger werdenden Ganges auch nur zu berühren.
Siggi stellte fest, dass es wieder ein Stück bergauf ging. Die Stei-gung war sanft und strengte kaum an. Seine innere Anspannung löste sich ein wenig, und er begann, sich sicherer zu fühlen.
»Kein Grund, sorglos zu werden«, sagte Laurion, als spürte er, was in Siggi vorging, obwohl der junge Lichtalbe seinen Blick weiterhin nach vorn gerichtet hielt.
»Ja, Laurion«, stimmte Siggi ihm völlig überrascht zu.
Siggi fragte sich, woher ihr Führer gewusst hatte, dass er unaufmerksam zu werden drohte. Es musste der Instinkt sein, der sich bei Laurion entwickelt hatte. Fast sein ganzes Leben hatte er im Krieg gegen die Schwarzalben verbracht. Er hatte nie die Sicherheit des Friedens kennen gelernt. Er schien zu spüren, wenn seine Leute unachtsam wurden.
Weiter ging es, und Siggi dachte darüber nach, was passieren wür-de, wenn ihrem Führer etwas zustieße, sodass seine Schwester und er auf sich allein gestellt wären. Allein der Gedanke ließ ihn schau-dern. Sie würden keine Chance haben; entweder würden sie in die Hände der Swart-alfar fallen, sich verirren – denn er hatte keine Ahnung, wo sie waren – oder in einer der zahllosen Fallen verenden.
Siggi tastete fast automatisch nach dem Kriegshammer an seiner Seite, der ihm immer wieder Sicherheit gab. Auch jetzt durchström-te ihn gleich darauf eine wilde Entschlossenheit und Zuversicht. Es machte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, was sein könnte. Er musste sich auf den Augenblick konzentrieren. Das Hier und Jetzt zählte; nicht irgendwelche Möglichkeiten, die sich vielleicht ergeben würden.
Sie erreichten eine Halle von wohl zwanzig mal zwanzig Metern.
Die Decke der Halle war im fahlen Licht kaum auszumachen, sie mochte acht oder zehn Meter hoch sein. Abrupt blieb Laurion stehen, und der Lichtalbe richtete seinen Blick nach oben, als suche er etwas ganz Bestimmtes.
»Hier«, stellte er schließlich fest, nachdem er die Felswand einge-hend untersucht hatte, »müssen wir nach oben klettern. Achtet darauf, was ich mache. Dort«, sagte er und deutete auf Vertiefungen und Vorsprünge im Fels, »müsst ihr entlang. Da ist eine künstlich angelegte Leiter, die uns dort hinauf führt.«
Siggi und Gunhild nickten. Unter der Höhlendecke konnten sie schwach ein schwarzes Loch entdecken, das wie das Maul eines riesigen Ungeheuers wirkte. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch eine Reihe von Felsnadeln, die wie riesige, verfaulte Zähne aussahen.
Laurion kletterte schnell und sicher. Siggi folgte ihm, und er wunderte sich, dass diese Vertiefungen künstlich sein sollten; denn sie wirkten, als wären es völlig natürliche Felsformationen. Es war einfacher als erwartet, den Weg nach oben zu finden. Die ›Leiter‹ be-schrieb einen kleinen Bogen im Fels, aber sie waren recht schnell oben. Der Eingang in den Stollen war nur etwa einen Meter hoch, und Laurion zog die Geschwister über die Kante hinweg in den Gang hinein, der glücklicherweise recht breit war.
Im Eingang verweilten sie kurz. Laurion sah sie ernst an, dann sah er zur Decke des Ganges hinauf. Im unsteten Licht dieses Ganges konnte Siggi erkennen, dass sich der Gang rasch verjüngte und immer schmaler und niedriger wurde.
»Als ich sagte«, erklärte Laurion flüsternd, »dieser Weg sei weniger gefährlich, je weniger ihm folgen, so war das ernst gemeint« – Siggi und Gunhild war klar, das nun ein Aber kommen musste, weil es an dieser Stelle immer eine Einschränkung gab –, »aber er ist ge-fährlich. Vorsicht: die Höhlendecke ist nicht stabil. Bitte macht keine lauten Geräusche, fasst keine scheinbar einzelnen Steine an Wänden und Decke an. Es könnte das Letzte sein, was ihr berührt.
Folgt mir einfach nur.«
Siggi
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