Pestmond (German Edition)
Schrecken auf, schleuderte die zerdrückten Überreste des Skorpions fort und rieb sich angeekelt die Hand am Mantel, so lange und so heftig, bis sich seine Handfläche anfühlte, als hätte er glühendes Eisen berührt.
Mit vor Schmerz fest zusammengebissenen Zähnen und wütend auf sich selbst, weil er so dumm gewesen war, starrte er die Hand an. Dort, wo ihn der Stachel getroffen hatte, war ein schwarzer Fleck, der sich schnell ausbreitete wie Tinte in weißem Papier. Brennender Schmerz fraß sich durch sein Handgelenk und weiter seinen Arm hinauf, um in einer grellen Lohe in seiner Schulter zu explodieren.
Das war unmöglich.
Er konnte nicht vergiftet werden.
Aber Abu Dun konnte auch nicht sterben, nur weil ihm jemand die Hand abgeschnitten hatte.
Andrej ballte die Faust und versuchte den Schmerz mit schierer Willenskraft niederzuringen, wie er es schon unzählige Male getan hatte, aber jetzt erreichte er damit nicht mehr, als die Qual zu purer Agonie werden zu lassen, die seinen gesamten Körper wie Fieber schüttelte. Vor seinen Augen begann alles zu verschwimmen, und ihm wurde übel.
Doch irgendwann gelang es ihm, des Schlimmsten Herr zu werden, und sein Blick klärte sich. Andrej hörte ein Stöhnen, von dem er annahm, dass es über seine eigenen Lippen kam. Seine Hand pulsierte immer noch und war auf das Doppelte ihrer normalen Größe angeschwollen. Ihm war, als hörte er rings um sich herum Trippeln und Huschen und Klacken, so als wäre der Skorpion zurückgekehrt und hätte sich verhundertfacht. Als er sich hastig zu Abu Dun umwandte, sah er zu seinem Grausen, dass sich der Verband vom Armstumpf gelöst hatte und das brandige Fleisch darunter brodelte und zischte, als begänne es sich kochend zu verflüssigen. Er wusste, Abu Dun war tot und konnte keinen Schmerz mehr spüren, trotzdem meinte Andrej, die Pein des Nubiers am eigenen Leib zu spüren, als sich das Gift des Ungeheuers tiefer in sein Fleisch fraß.
Es war unmöglich.
Der Skorpion konnte ihn nicht verletzen.
Wieder hörte er ein Stöhnen, nur dass er diesmal sicher war, dass es nicht von ihm stammte. Verwirrt und alarmiert zugleich sah er sich um und zog das Schwert halb aus der Scheide, doch da war niemand, nur die Dunkelheit und die Schatten, die sich in ihr bewegten und ihn belauerten. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, hierherzukommen und die Geister dieses Ortes zu stören. Oder er war dabei, den Verstand zu verlieren, zerbrochen an dem, was seinem Freund zugestoßen war, und dem Wissen um das, was sie auf die Welt losgelassen hatten. Vielleicht würde dieses Ding ja immer weiter und weiter und weiter töten, so lange, bis es keine Menschen mehr gab, hatten sie es doch in eine Welt gebracht, die keine Gegenwehr gegen ein Ungeheuer aus einer längst vergessen geglaubten Zeit kannte.
Wieder erklang ein Stöhnen, und jetzt wusste er, woher es kam. Mit einem Ruck fuhr er herum und hätte um ein Haar laut aufgeschrien, als er sah, wie sich Abu Dun zu bewegen begann, zuerst seinen verstümmelten Arm und dann den Kopf hin-und herwarf und sich dann unbeholfen aufzusetzen versuchte. Er war zurück von den Toten. Dieses Mal war der Kampf länger und härter gewesen als je zuvor, und sein Eintauchen in die Welt des Dahinter so tief wie nie, aber am Ende hatte er auch diese Schlacht gewonnen.
»Abu Dun?«, flüsterte er.
Der Nubier drehte den Kopf und sah ihn an, und aus Andrejs wilder Hoffnung wurde Entsetzen, denn da war nichts mehr von seinem Freund in den dunklen Augen, nur Schwärze und Leere und ein abgrundtiefer Hass auf alles Lebendige und Fühlende.
»Du«, krächzte er mit einer Stimme, die nicht die seine war, vielleicht nicht einmal mehr die eines Menschen. »Du! Es ist alles deine Schuld!«
Andrej war wie gelähmt vor Entsetzen. Er konnte nicht sprechen, ja nicht einmal atmen oder denken. Abu Dun griff mit der verbliebenen Hand nach ihm, packte mit seiner ganzen titanischen Kraft zu und warf ihn so wuchtig auf den Rücken, dass ihm beinahe die Sinne schwanden.
»Du!«, brüllte er noch einmal. »Es ist nur deine Schuld! Du hast sie gerufen! Sie ist nur deinetwegen hier!«
Andrej verstand nicht, wovon er sprach, doch es gelang ihm, nach Luft zu schnappen. Die schiere Angst vor der verzehrenden Schwärze in Abu Duns Augen gab ihm die Kraft, den Nubier von sich zu stoßen – wenn auch nicht weit genug. Plötzlich war da ein Heulen, wie der Schrei eines schwarzen Todesengels hinter dem Horizont, und ein Schatten näherte
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