Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
hatte, damals, als ich schlief, nachdem ich mich selbst mit dem heißen Pech verbrannt hatte. Der Edelmann, vor dem Matthew sich gefürchtet hatte und nach dessen Besuch Mr Black mich als Lehrjungen aufgenommen hatte.
»Das ist er! Das ist der Mann!«
Ich musste von allen guten Geistern verlassen sein. Ich deutete auf ihn. Sah, wie er den Hals verrenkte, um nach oben zu blicken und mich anzustarren, während ich einen Moment lang an nur einer Hand hing. Die Leute über mir versuchten, mich zu packen, aber der Mann, der mich hielt, lockerte den Griff, und ich stürzte auf die Menschen unter mir. Ein Mann ging fluchend zu Boden. Andere jubelten. Luke schrie etwas. Will und Ben kamen auf mich zu, doch ich bahnte mir stoßend, schubsend und kämpfend einen Weg durch die Menge und schlängelte mich nach vorn, um den Mann zu erwischen, ehe er vorbei war. Ich erreichte die Zunftmitglieder, die den Weg mit derben Knüppeln blockierten, schnappte mir den Knüppel von einem von ihnen und brachte den Mann so aus dem Gleichgewicht. Was mich vorwärts trieb, waren die Worte in dem Briefschnipsel, den ich in Mr Blacks Kontor gefunden hatte: »Er betrachtet den Jungen mit anderen Augen.«
Der Mann mit der Narbe musste den Brief geschrieben haben, auf Anweisung des Edelmanns. Ich hatte nur ein Ziel, und zwar, zu dem Mann zu gelangen, der aus irgendeinem Grund erst beschlossen hatte, etwas aus mir zu machen, nur um dann, wie ein Töpfer, der ein fehlerhaftes Gefäß aussonderte, zu entscheiden, dass ich »eine große Tollheit« sei, derer man sich entledigen musste.
Warum? Das war die Frage, die ich ihm ins Gesicht schleudern wollte. Warum?
Vielleicht schrie ich das Wort sogar. In meiner Erinnerung verschwimmen die Ereignisse, und ich kann mich nicht entsinnen. Der Zug war zum Halten gekommen. Ich duckte mich unter einem Pferd hindurch und stand nur wenige Schritte von dem Edelmann entfernt, der jetzt auf mich herunterstarrte. Ich war so plötzlich aufgetaucht, dass sein Pferd sich aufbäumte. Als der Edelmann aus dem Sattel zu rutschten drohte, versuchte ich, die Zügel zu ergreifen. Überall um mich herum schrien Leute. Reiter hatten Mühe, ihre scheuenden Pferde in Zaum zu halten. Ich spürte den brennenden Hieb einer Peitsche.
»Aus dem Weg! Ich muss zu meinen Vater!«
Die Stimme gehörte einem Reiter, der sein Reittier perfekt unter Kontrolle hatte. Als er sein Pferd in meine Richtung drängte, erhaschte ich einen Blick auf den Falken, der seinen Umhang zierte. Sein Gesicht ähnelte dem des alten Mannes, nur glatter, und er trug einen ordentlichen Bart, der wie gemeißelt wirkte. Seine scharfen grauen Augen wiesen ihn als einen Mann der Tat aus, der erst richtig lebendig wurde, wenn andere Menschen in Panik und Unordnung gerieten. Er brach durch die Menschenmenge und beugte sich über mich, den Kopf tief über den Pferdehals gesenkt. Seine Augen wurden schmal, während sein Schwert nach unten deutete. Für ihn musste ich wie ein Stück Wild sein, das er auf seinem Anwesen jagte. Oder eher wie Ungeziefer. Jemand schrie etwas in mein Ohr, aber ich war wie eine dieser Ratten am Hafen, hypnotisiert von einem streunenden Hund, der sie in die Ecke getrieben hatte. Die Schwertspitze war nur wenige Zoll von mir entfernt, als ein Knüppel sie zur Seite schlug. Das Schwert drang durch den Umhang in meine Schulter und wirbelte mich herum. Das Pferd des Reiters bockte, aber er bezwang es und lenkte es erneut auf mich zu.
»Lauf!«, schrie die Stimme.
Es war Luke. Er zerrte mich durch das Gewühl und schob mich auf Will zu. »Lauf, du kleiner Narr! Lauf!«
9. Kapitel
Sie brachten mich zurück zum Speicherhaus, wo Mrs Ormonde darauf bestand, mir ein Bett in Wills Kammer zu geben. Ben rieb eine kühlende Salbe auf meine Schulter. Er erinnerte mich an Matthew, außer dass in dem abgewetzten Tornister, in dem er seine Kräuter bei sich trug, strenge Ordnung herrschte. Luke saß am Ende des Bettes und sah zu. »Was um Himmels willen hattest du vor?«
Ich gab keine Antwort, entschlossen, nichts mehr zu sagen, da er meine Geschichte ins Lächerliche gezogen hatte. Ich hatte ihm gedankt, weil er mir das Leben gerettet hatte, aber so in seiner Schuld zu stehen, machte es nur noch schwerer, seine bevormundende Art zu ertragen.
Der pochende Schmerz in meiner Schulter war bereits verschwunden, als Ben die Salbe wieder in seinem Tornister verstaute. »Du hast gerufen ›Das ist er‹. Wer, glaubst du, war dieser alte Edelmann?«
»Hast
Weitere Kostenlose Bücher