Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
flachen Hand auf die Brusttasche. »Ich habe ein fast neunzig Jahre altes Originalschreiben von Gustav Meyrink an Paul Wegener ergattert. Das hätte ich in keinem Antiquariat gefunden.«
Ivona sah ihn mit großen Augen an. »Sie haben den Brief aus dem Filmarchiv mitgehen lassen?«
Hogart zuckte die Achseln. »Bezeichnen wir es als eine Leihgabe auf Lebenszeit für meine Autogrammsammlung … sozusagen als Erinnerung an diesen Fall.«
»Sie Gauner!«
Sie sahen einander wortlos an. Zu viele Dinge gingen Hogart durch den Kopf. »Was wird nun mit Micha passieren?«, fragte er schließlich.
»Er kommt in eine Strafanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Dort wird er wohl eine Psychotherapie über sich ergehen lassen müssen.« Ihre Stimme wurde leiser. »Das bedeutet, die alten Wunden aufzureißen und den Missbrauch von seiner Kindheit bis jetzt noch einmal zu erleben. Nur so kann er das gesamte Drama verarbeiten und sich die abgespaltenen Personen in seinem Kopf bewusst machen.« Einen Moment lang schien sie in Gedanken verloren. »Da Michas Eltern tot sind, gibt es nur noch seinen Bruder, der sich um ihn kümmert. Ich werde Kontakt mit ihm aufnehmen.«
Für Hogart war es immer noch unvorstellbar, was im Geist eines Menschen alles zu Bruch gehen konnte und wie schwierig es war, auch nur ein bisschen davon wieder zusammenzusetzen. Schweigend sah er Ivona eine Weile an. Er würde ihr nie verraten, dass er wusste, was zwischen ihr und ihrem Vater vorgefallen war - ebenso wenig würde Ondrej wohl je erfahren, wer Dr. Zajic tatsächlich erschossen hatte. Dieses Geheimnis würde für immer von Ivona und ihm geteilt werden. »Danke«, sagte er schließlich.
»Wofür? Ich stehe in Ihrer Schuld. Sie haben nicht nur Vesely, sondern auch mir das Leben gerettet.«
»Ihnen?« Er sah sie fragend an.
»Wären Sie nicht nach Prag gekommen und zufällig in mein Leben getreten, wäre ich entweder in meinem Haus verbrannt oder Micha hätte mich auf dem Steg erschossen.«
Es war eine verrückte Welt. Obwohl Micha versucht hatte, sie zu töten, wollte sie ihm helfen. »Mir brauchen Sie nicht zu danken«, antwortete er. »Sie haben Ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. Schließlich haben Sie mich zum Abendessen eingeladen.«
»Spaghetti mit einem Chateau la Montanage«, erinnerte sie sich, und plötzlich strahlte ihr Gesicht. »Falls ich einmal nach Wien komme, holen wir dieses Abendessen nach.«
»Und wir besuchen die chinesischen Pandabären im Zoo!« Er warf einen Blick auf die Anzeigetafel mit den Abflugzeiten. Sein Flug ging in fünfzig Minuten, und das Boarding würde in Kürze beginnen.
»Eine Sache noch«, sagte Ivona bevor er seinen Koffer nehmen konnte. »Sie haben in meiner Kajüte ein Kuvert hinterlassen. Was befindet sich darin?«
»Machen Sie es auf, wenn Sie zurückkommen.«
Sie sah ihn bittend an. »Ich hasse Überraschungen.«
»Darin befindet sich tschechische Kronen und Euronoten - der Rest meines Spesenkontos von Medeen & Lloyd.«
Sie kniff die Augenbrauen zusammen. »Sind Sie verrückt? Was soll ich damit?«
»Was Sie damit sollen? Verwenden Sie es als Anzahlung für Ihre neue Wohnung.«
Sie sah in skeptisch an. »Ihre Versicherung weiß nichts davon, habe ich recht?«
»Über die Spesen kann ich frei verfügen. Mein Auftraggeber braucht keine Belege, die schreiben sie sich selbst. Was zählt, ist, dass der Fall gelöst wurde.«
Ivona überlegte, schließlich nickte sie. »Danke.«
»Ach was, es war eine Freude, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Was werden Sie nun tun?«
»Ich fahre zu Matej.«
Er nickte. »Machen Sie es gut, genießen Sie die Zeit mit Ihrem Sohn.«
Plötzlich beugte sie sich nach vorne und küsste ihn auf die Wange. Danach wandte sie sich um und lief durch die Halle. Er sah ihr nach, bis sie durch den Ausgang verschwunden war, dann reihte er sich in die Warteschlange vor der Passkontrolle ein.
Unmittelbar vor seinem Flugsteig nahm er in einem Coffeeshop Platz. Er hatte noch etwa eine halbe Stunde Zeit und bestellte sich einen heißen Kaffee, schwarz, ohne Zucker. Während er durch die Scheibe auf den Parkplatz starrte, rührte er gedankenverloren mit dem Löffel in dem Getränk. Taxis fuhren vor, ließen Fahrgäste aus- und neue einsteigen, fuhren wieder davon. Irgendwann ertönte der Aufruf zum Boarding seiner Austrian-Airlines-Maschine - jener Flug, den Alexandra Sendling nie erreicht hatte.
Er blinzelte durch die Scheibe. Die Sonnenstrahlen bahnten sich einen Weg
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