Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
weitem: »Kellner, eine Tasse Schokolade!« Dann lief er zum Spiegel: die Nase war da. Er wandte sich lustig um und musterte ironisch, mit einem Auge blinzelnd, zwei Offiziere, deren einer eine Nase kaum so groß wie einen Westenknopf hatte. Darauf begab er sich in die Kanzlei des Departements, in dem er sich um einen Vizegouverneurs-Posten, oder wenigstens um den eines Exekutors bewarb. Als er das Empfangszimmer durchschritt, blickte er in den Spiegel – die Nase war da. Dann besuchte er einen anderen Kollegien-Assessor, oder Major, einen großen Spötter, dem er schon mehr als einmal auf dessen spöttische Bemerkungen gesagt hatte: »Ich kenne dich, du bist immer so giftig!« Unterwegs dachte er sich: – Wälzt sich der Major, wenn er mich sieht, nicht vor Lachen, so ist es ein sicherer Beweis dafür, daß alles sich auf seinem Platze befindet. – Aber der Kollegien-Assessor sagte nichts. »Wie schön, hol mich der Teufel!« sagte Kowaljow zu sich selbst. Unterwegs begegnete er der Frau Stabsoffizier Podtotschina nebst Tochter; er machte eine Verbeugung und wurde mit freudigen Ausrufen begrüßt; also war alles in bester Ordnung. Er unterhielt sich mit ihnen sehr lange, nahm sogar seine Tabaksdose aus der Tasche und stopfte sich absichtlich vor ihren Augen sehr lange Schnupftabak in beide Löcher, wobei er zu sich selbst sagte: »Seht ihr es, ihr dummen Hennen! Die Tochter werde ich aber doch nicht heiraten. So einfach, par amour , dagegen, – mit Vergnügen!« Von nun an zeigte sich der Major Kowaljow, als ob nichts vorgefallen wäre, auf dem Newskij-Prospekt, in den Theatern und überall. Auch seine Nase saß, als wäre nichts vorgefallen, auf ihrem Platz und man konnte ihr nicht anmerken, daß sie sich von ihm entfernt hatte. Man sah jetzt den Major Kowaljow immer in bester Laune; er lächelte, verfolgte alle hübschen Damen und blieb sogar einmal vor einem Laden im Großen Kaufhaus stehen und kaufte sich ein Ordensband; wozu er es kaufte, blieb unbekannt, denn er hatte gar kein Recht auf irgendeinen Orden.
So eine Geschichte hat sich in der nordischen Residenz unseres ausgedehnten Vaterlandes ereignet! Wenn wir uns jetzt alle Umstände überlegen, sehen wir, daß an ihr vieles unwahrscheinlich ist. Schon ganz abgesehen davon, daß ein solches unnatürliches Verschwinden einer Nase und ihr Auftauchen an verschiedenen Orten in der Gestalt eines Staatsrates sehr sonderbar ist, – wie konnte es Kowaljow nicht eingesehen haben, daß man den Verlust einer Nase nicht gut durch die Zeitungsexpedition anzeigen kann? Ich will damit nicht gesagt haben, daß er für die Anzeige zu teuer bezahlt hätte; das ist unwesentlich, und ich bin gar nicht so habgierig; aber es ist unanständig, unpassend, unschön! Und dann: wie ist die Nase in das gebackene Brot geraten und was hatte Iwan Jakowlewitsch damit zu tun? … Nein, ich verstehe es nicht, absolut nicht! Was ich aber am allerwenigsten verstehe, ist, daß sich ein Autor ein solches Thema wählen kann. Ich finde es, offen gestanden, ganz unbegreiflich! Das ist wirklich … Nein, nein, ich kann es nicht verstehen! Erstens bringt es auch nicht den geringsten Nutzen dem Vaterlande, zweitens … aber auch zweitens bringt es keinen Nutzen. Ich weiß einfach nicht, was es ist …
Und doch, wenn man das eine, das andere und das dritte auch zugeben kann, sogar daß … und wo gibt es keinen Unsinn? Wenn man es sich aber überlegt, so steckt doch etwas dahinter. Man mag sagen, was man will, solche Ereignisse kommen wirklich vor, – selten, aber sie kommen vor.
Das Porträt
I
Nirgends blieben so viele Menschen stehen wie vor dem kleinen Bilderladen im Schtschukinschen Kaufhause. Dieser Laden stellte in der Tat die bunteste Ansammlung von wunderlichen Dingen dar; die Bilder waren zum größten Teil mit Ölfarben gemalt, mit einem dunkelgrünen Lack überzogen und steckten in dunkelgelben Rahmen aus unechtem Gold. Eine Winterlandschaft mit weißen Bäumen, ein knallroter Abend, der wie eine Feuersbrunst aussieht, ein flämischer Bauer mit einer Pfeife im Munde und einem gebrochenen Arm, mehr einem Truthahn in Manschetten als einem Menschen ähnlich, – das ist der Inhalt der meisten Bilder. Zu erwähnen sind noch einige Porträtstiche: das Bildnis des Chosrew-Mirza in einer Lammfellmütze, die Bildnisse irgendwelcher Generäle mit schiefen Nasen in Dreimastern … Außerdem ist die Eingangstüre eines solchen Ladens gewöhnlich mit bunten volkstümlichen
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