Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
habe ich nicht nur die Schlaflosigkeit kennen gelernt, sondern auch solche Träume, daß … Ich vermag selbst nicht zu sagen, ob es bloß Träume sind oder etwas anderes: es ist mir, wie wenn ein Teufel mich würgte, und dabei sehe ich immer den verfluchten Alten vor mir. Mit einem Worte, ich kann dir meinen Zustand gar nicht beschreiben. Etwas Ähnliches habe ich noch nie erlebt. Alle diese Tage irrte ich wie ein Verrückter herum: ich fühlte fortwährend irgendeine Angst, irgendeine unangenehme Erwartung. Ich fühle, daß ich kein einziges lustiges, aufrichtiges Wort sprechen kann; es ist mir, als ob in mir ein Spion säße. Erst als ich das Porträt meinem Neffen schenkte, der selbst danach verlangte, war es mir, als ob mir ein Stein vom Herzen gefallen wäre: plötzlich fühlte ich mich wieder lustig, wie du mich jetzt siehst. Ja, Bruder, einen schönen Teufel hast du fertig gekriegt!‹
»Mein Vater hörte seinen Bericht mit gespannter Aufmerksamkeit an und fragte schließlich: ›Befindet sich das Porträt jetzt bei deinem Neffen?‹«
›Ach was, beim Neffen! Der hielt es auch nicht aus!‹ sagte der lustige Patron. ›Die Seele des Wucherers scheint ins Porträt gefahren zu sein: er springt aus dem Rahmen, geht durch das Zimmer, und was mein Neffe über ihn erzählt, ist einfach unfaßbar. Ich würde ihn für verrückt halten, wenn ich es zum Teil nicht auch selbst erlebt hätte. Er hat das Porträt irgendeinem Bildersammler verkauft, und auch dieser hielt es nicht aus und verkaufte es weiter.‹
»Diese Erzählung machte auf meinen Vater einen starken Eindruck. Er wurde tief nachdenklich, verfiel in Hypochondrie und war zuletzt ganz davon überzeugt, daß sein Pinsel als teuflisches Werkzeug gedient habe, daß das Leben des Wucherers auf irgendeine Weise zum Teil wirklich ins Porträt gefahren sei und die Menschen beunruhige, indem es ihnen teuflische Gedanken eingäbe, die Künstler vom Wege abbringe, gräßlichen Neid erzeuge usw. Die drei Unglücksfälle, die sich bald darauf ereigneten, die drei plötzlichen Tode: der seiner Frau, seiner Tochter und seines kleinen Sohnes sah er als eine himmlische Strafe an und faßte den unabänderlichen Entschluß, die Welt zu fliehen. Als ich neun Jahre alt geworden war, gab er mich auf die Kunstakademie, rechnete dann mit allen seinen Gläubigern ab und zog sich in ein entlegenes Kloster zurück, wo er bald darauf die Mönchsweihen empfing. Dort setzte er durch seine strenge Lebensführung und durch die peinliche Befolgung aller Klosterregeln die Mönche in Erstaunen. Als der Prior des Klosters von seiner Kunst erfuhr, gab er ihm den Auftrag, für die Klosterkirche ein Altarbild zu malen. Aber der demütige Bruder weigerte sich entschieden und sagte, daß er unwürdig sei, den Pinsel zu ergreifen, weil dieser entweiht sei, und daß er erst durch Mühe und große Opfer seine Seele läutern müsse, um der Ehre teilhaftig zu werden, solch ein Werk zu unternehmen. Man wollte ihn dazu nicht zwingen. Er erschwerte für sich selbst, soweit es ging, die Strenge des klösterlichen Lebens. Zuletzt erschien ihm auch dieses nicht streng genug. Mit Genehmigung des Priors entfernte er sich in eine Einsiedelei, um ganz allein zu sein. Dort baute er sich aus Baumästen eine Zelle, lebte nur von rohen Wurzeln, schleppte Steine von einem Ort zum andern und stand von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang immer auf dem gleichen Fleck, die Arme gen Himmel erhoben und unausgesetzt Gebete sprechend – mit einem Worte, er erfand wohl alle denkbaren Stufen der Kasteiung und jener unfaßbaren Selbstaufopferung, für die man höchstens in der Heiligenlegende Beispiele finden kann. So kasteite er lange, mehrere Jahre hindurch seinen Körper und stärkte ihn zugleich mit der belebenden Kraft des Gebets. Endlich kam er eines Tages ins Kloster und sagte dem Prior mit fester Stimme: ›Nun bin ich bereit; wenn es Gott gefällig ist, werde ich das Werk vollenden.‹ Der Gegenstand, den er wählte, war die Geburt des Heilands. Ein ganzes Jahr arbeitete er daran, ohne seine Zelle zu verlassen, von karger Kost lebend und ununterbrochen betend. Nach Ablauf des Jahres war das Bild fertig. Es war tatsächlich ein Wunder der Malkunst. Es ist zu bemerken, daß weder die Klosterbrüder noch der Prior viel Verständnis für die Malerei hatten, aber alle waren über den ungewöhnlich heiligen Ausdruck der Gestalten erstaunt. Das Gefühl göttlicher Demut und Milde im Antlitz der allerreinsten
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