Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Erscheinung. Ich weiß, die Welt leugnet die Existenz des Teufels, und darum werde ich von ihm nicht sprechen; ich will nur sagen, daß ich ihn mit Abscheu malte: damals fühlte ich nicht die geringste Liebe für mein Werk. Ich wollte mich gewaltsam bezwingen und alles in mir unterdrücken, um seelenlos treu der Natur zu folgen. Es war keine Schöpfung der Kunst, und darum sind die Gefühle, die sich der Menschen bei seinem Anblick bemächtigen, aufrührerische, unruhige Gefühle und nicht die eines Künstlers, denn der Künstler atmet selbst in der Unruhe Ruhe. Man sagte mir, das Porträt gehe von Hand zu Hand und verbreite die quälendsten Eindrücke; es erzeuge im Künstler Neid, finsteren Haß gegen seinen Bruder und das gehässige Bestreben, alles zu unterdrücken und zu verfolgen. Der Allmächtige möge dich vor solchen Leidenschaften bewahren! Es gibt nichts Schrecklicheres als sie. Es ist besser, selbst die ganze Bitternis aller möglichen Verfolgungen zu kosten, als einen andern zu verfolgen. Bewahre die Reinheit deiner Seele. Wer ein Talent in sich birgt, der muß an Seele reiner als alle sein. Einem andern wird vieles verziehen, was ihm nicht verziehen wird. Wenn ein Mensch in hellem festlichen Gewande aus dem Hause getreten ist, so genügt schon ein einziger Schmutzspritzer von einem Wagen, damit die Menge ihn umringe, auf ihn mit dem Finger weise und von seiner Unsauberkeit spreche, während die gleiche Menge die vielen Schmutzspritzer an anderen Menschen, die ihre Werktagskleider anhaben, nicht sieht; denn auf den Werktagskleidern sind die Flecken nicht sichtbar.‹
»Er segnete und umarmte mich. Nie im Leben war ich von solcher Rührung erschüttert wie an diesem Tag. Andächtig, mit einem Gefühl, das mehr als Sohnesliebe war, fiel ich ihm an die Brust und küßte seine herabfließenden silbernen Haare.
»Tränen glänzten in seinen Augen. ›Mein Sohn, erfülle mir meine einzige Bitte,‹ sagte er beim Abschied. ›Vielleicht wird es sich fügen, daß du irgendwo das Porträt findest, von dem ich sprach – du wirst es an den ungewöhnlichen Augen und an ihrem natürlichen Ausdruck erkennen – so vernichte es um jeden Preis …‹
»Sie können selbst urteilen, ob es mir möglich war, ihm nicht zu schwören, seine Bitte zu erfüllen. Fünfzehn Jahre lang konnte ich nichts finden, was auch entfernt der Beschreibung, die mir mein Vater gab, entsprochen hätte. Aber auf dieser Auktion …«
Der Künstler sprach den Satz nicht zu Ende und richtete seinen Blick auf die Wand, um das Porträt noch einmal zu sehen. Die gleiche Bewegung machten augenblicklich auch alle Zuhörer, und alle Augen suchten das ungewöhnliche Porträt. Zum höchsten Erstaunen aller hing es aber nicht mehr an der Wand. Ein unruhiges Gemurmel lief durch die ganze Menge, und gleich darauf ließ sich deutlich das Wort vernehmen: »Gestohlen!« Jemand hatte sich die Aufmerksamkeit der von der Erzählung hingerissenen Zuhörer zunutze gemacht und das Bild entwendet. Lange noch blieben die Anwesenden bestürzt, und niemand wußte, ob man die ungewöhnlichen Augen tatsächlich gesehen hatte, oder ob es nur ein Traum war, der ihren durch das lange Betrachten alter Bilder ermüdeten Augen vorgeschwebt.
Der Mantel
An einer Ministerialabteilung … ich will die Ministerialabteilung nicht genauer bezeichnen. Es gibt nichts Unangenehmeres, als mit Angehörigen einer Ministerialabteilung, eines Regiments, einer Kanzlei, kurz, mit irgendeiner Amtsperson zu tun zu haben. Jeder Privatmensch glaubt heutzutage, man wolle in seiner Person die ganze Korporation beleidigen.
Man erzählt, vor kurzem sei eine Beschwerde eines Kapitän-Isprawniks, ich weiß nicht mehr genau von welcher Stadt, eingelaufen, in der er beweist, daß alle staatlichen Institutionen zugrunde gehen, und daß sogar sein geheiligter Name mißbraucht werde: als Beleg fügte er seiner Beschwerdeschrift einen sehr dicken Band eines Romans bei, in dem mindestens alle zehn Seiten ein Kapitän-Isprawnik auftritt, stellenweise sogar in vollständig betrunkenem Zustand.
Zur Vermeidung etwaiger Unannehmlichkeiten ziehe ich es vor, die Ministerialabteilung, von der die Rede ist, »eine Ministerialabteilung« zu nennen.
An »einer Ministerialabteilung« war also »ein Beamter« angegestellt. Man kann nicht behaupten, daß es ein irgendwie bemerkenswerter Beamter war: er war klein, etwas pockennarbig, etwas rothaarig und anscheinend auch etwas kurzsichtig, er hatte eine kleine
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