Legende der Angst
1. Kapitel
Es begann mit BLUT.
Und genau damit würde es auch enden.
Angela Warner saß auf der Couch und trank ihr drittes Bier, als Mary Blanc das Haus von Jim Kline betrat, ein geladenes Gewehr in den Händen. Es war kurz vor zehn; Jims Party würde wahrscheinlich noch gut zwei Stunden andauern. Angela hatte ihren Spaß und fühlte sich gut dabei. Dies war die erste Party, zu der sie eingeladen worden war, seit sie im Juni in die kleine Stadt, die Point hieß, gezogen war. Jetzt war es Ende September. Ein paar Wochen zuvor hatte die Schule begonnen, und Angela sah die Einladung zu der Party als Zeichen dafür an, daß die anderen sie endlich doch in ihrem Kreis akzeptiert hatten. Besonders, da es Jim Kline gewesen war, der sie eingeladen hatte. Der scharfe Footballcrack Jim – möglicherweise der phantastischste Typ der ganzen Schule. Aber Angela bildete sich nichts weiter auf diese Einladung ein. Besser als irgend jemand sonst wußte sie, daß Jim zu Mary gehörte. Zu der schönen, selbstbewußten Mary – Angelas bester Freundin in der ganzen Stadt.
Mary. Das Mädchen mit dem geladenen Gewehr.
»Hi Mary«, sagte Angela, als ihre Freundin durch die Haustür stürzte. Es war ein ganz normales Hi. Aber dazu war es wohl nur gekommen, weil Angelas Mund schneller war als ihre Augen. Als sie das Gewehr wahrnahm, fiel ihr nichts mehr ein, was sie dieser Begrüßung hätte hinzufügen können. Ihr Blick war wie gebannt auf das Gewehr gerichtet. Mit großem Interesse beobachtete sie, wie Mary die Waffe anhob und den Lauf auf die Mitte von Todd Greens Körper richtete. Angela hatte Todd erst an diesem Abend kennengelernt. Er war Linebacker im Footballteam der High-School von Point und schien in Ordnung zu sein. Kurz bevor Mary den Abzug betätigte, kam Angela der verrückte Gedanke, daß ihre Freundin ganz entschieden wußte, wie man Stimmung in eine Party brachte.
Der Schuß ging ihm mitten durch seine Eingeweide, und die Wand hinter ihm war plötzlich mit etwas Klumpigem, Rotem befleckt. Todd stöhnte und fiel zu Boden. Schweigen der Fassungslosigkeit senkte sich über die etwa dreißig versammelten Jungen und Mädchen. Keiner bewegte sich, abgesehen von Mary. Sie lud ihr Gewehr durch, wirbelte herum und ging in Richtung Küche. Sie ging nicht sehr weit – offensichtlich brauchte sie das auch nicht. Zwischen ihr und der Küchentür stand Kathy Baker, die Anführerin der Cheerleader der High-School. Kathy war ein schnuckliges blondes Kuschelchen. Alle Jungs liebten sie, und, soweit Angela das beurteilen konnte, Kathy liebte eine ganze Reihe von den Jungs. Sie war jung und frisch und hatte das Gesicht eines Models.
Mary richtete ihr Gewehr auf Kathys Gesicht und drückte ab. Der Schuß traf Kathy in die Stirn, riß ihr die Schädeldecke ab und verspritzte einen guten Teil ihrer Hirnmasse auf dem Geländer der Treppe ganz in der Nähe. Kathy – ihr lebloser Körper – flog nach hinten und schlug fast geräuschlos auf dem Teppich auf.
Das entsetzte Schweigen wurde drückender.
Noch einmal lud Mary ihr Gewehr durch, und sie ließ den Blick über die Treppe nach oben schweifen. Angela betrachtete den Ausdruck in Marys Augen wie in einem Traum. Sie saß immer noch auf der Couch im Wohnzimmer, nicht weit von der Haustür und den Überresten von Todd entfernt, ihre leere Bierdose noch in der Hand. Mary stand drei Meter weiter zu ihrer Linken. Ihre Pupillen waren groß, jedoch nicht, als wäre sie übergeschnappt. Sie ließ den Blick mit fester Entschlossenheit über den sichtbaren Teil des ersten Stockwerks wandern. Marys Mund war geschlossen, sie atmete durch die Nase, gleichmäßig und tief. Sie hatte gerade eben zwei Menschen weggepustet, schien sich dabei jedoch vollkommen unter Kontrolle zu haben.
Mary war noch nicht fertig.
Jemand trat oben an das Treppengeländer und spähte nach unten. Angela brauchte eine Weile, um zu registrieren, daß es Jim Kline war. Angelas Blick schoß von Jim zu Mary, dann noch einmal hin und her. Jims ansehnlicher Kiefer schien ein Stück aufzuklappen. Auf Marys Stirn zeichnete sich eine harte Linie ab. Angela setzte sich gerader hin, als Mary erneut das Gewehr in Anschlag nahm. Alle anderen, die an der Party teilgenommen hatten, standen nur weiter reglos da und starrten und unternahmen nichts. Das Ganze war offensichtlich viel zu schnell gegangen. Es konnten noch keine zehn Sekunden vergangen sein, daß Mary durch die Haustür gekommen war. Angela schaffte es gerade
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