Phönix
ja, was du gemacht hast; laß es so laufen. Es gibt keinen Grund zur Eile.«
»Alles klar. Viel Glück.«
»Danke.«
Langsam stieg ich die Treppe zu meiner Wohnung hinauf und fühlte mich unerklärlicherweise wie ein alter Mann. Loiosh flog vor und fing an, sich (ausgiebig) mit seiner Partnerin Rocza zu beschäftigen. Cawti trug heute Grün, dazu einen roten Schal um den Hals, der die wenigen, fast unsichtbaren Sommersprossen auf ihrer Nase betonte. Die langen braunen Haare hingen offen und nur oberflächlich gebürstet herab, was mir immer ziemlich gut gefällt. Sie legte ihr Buch beiseite, eine von Paarfis »Historien«, und begrüßte mich ohne Kälte, aber auch ohne großartig Wärme vorzutäuschen. »Wie war dein Tag?« fragte ich.
»Ganz gut«, sagte sie. Was sollte sie auch antworten? Ich interessierte mich nicht gerade brennend für die Einzelheiten ihrer Aktivitäten mit Kelly und seiner Bande von Rebellen oder Bekloppten oder was sie auch waren. Sie fragte: »Und deiner?«
»Interessant. Ich habe Noish-pa besucht.«
Da lächelte sie zum erstenmal. Wenn wir überhaupt noch etwas gemein hatten, dann war es zu jener Zeit unsere Liebe zu meinem Großvater. »Was hat er gesagt?«
»Er macht sich Sorgen um uns.«
»Er glaubt an die Familie.«
»Ich auch. Das ist wohl vererbt.«
Sie lächelte wieder. Ich könnte für dieses Lächeln sterben. »Wir sollten mit Aliera reden. Vielleicht hat sie das Gen isoliert.« Dann war das Lächeln fort, und ich starrte auf die Lippen, die es umspielt hatte. Ich sah ihr in die Augen. Wenn wir uns geliebt haben, habe ich ihr immer in die Augen gesehen. Der Moment zog sich hin, und ich schaute weg und setzte mich ihr gegenüber. Ich fragte: »Was sollen wir nur machen?« Meine Stimme war beinahe ein Flüstern. Man merkte nicht, daß wir diese Unterhaltung in diversen Formen schon x-mal geführt hatten.
»Ich weiß es nicht, Vladimir. Ich liebe dich wirklich, aber jetzt steht so viel zwischen uns.«
»Ich könnte die Organisation verlassen«, sagte ich. Und das nicht zum erstenmal.
»Nicht bis und nur wenn du es aus freien Stücken so willst, und nicht weil ich es mißbillige.« Auch das hörte ich nicht zum erstenmal. Und es war so komisch: einst war sie es gewesen, die mit ihrer Partnerin als das gefürchtetste Paar von Attentäterinnen die Gassen Adrilankhas heimsuchte.
Wir schwiegen eine Weile, während ich überlegte, wie ich ihr den restlichen Verlauf meines Tages schildern sollte. Schließlich sagte ich: »Ich werde eine Zeitlang fort sein.«
»Ach?«
»Ja. Ein Auftrag. Außerhalb. Über das große, weite Meer. Hinaus bis hinter den Horizont. Weiter segeln, als je ein –«
»Wann kommst du wieder?«
»Weiß ich nicht genau. Spätestens in ein, zwei Wochen, hoffe ich.«
»Schreib mir, wenn du Arbeit gefunden hast«, sagte sie.
LEKTION
BEFÖRDERUNG
Viel kann ich euch über Nordhaven (eigentlich sollte es Westhaven heißen, aber egal) nicht erzählen, weil ich es nicht wirklich gesehen habe. Nur die Gegend unmittelbar am Wasser, und die wirkte verglichen mit Adrilankha eher ärmlich. Sie war schmutziger und leerer, weniger Gasthäuser und mehr Wracks. Mir kam in den ersten paar Minuten, noch bevor ich mich vom Teleport erholt hatte, der Gedanke, daß der Grund dafür wohl der war, daß Adrilankhas Hafen weiterhin florierte, Nordhaven sich dagegen nie von Adrons Desaster und dem Interregnum erholt hatte.
Dennoch gab es, ein- oder zweimal am Tag, Boote, die Richtung Elde ausliefen oder von dort kamen und zusätzlich ein paar, die die Küste auf und ab fuhren. Von den nach Elde fahrenden Schiffen legten viele auch in Grünewehr an, das mehr oder weniger auf dem Weg lag, wenn man Gezeiten und Winde einrechnete. (Ich persönlich hatte keine Ahnung von Gezeiten oder Winden, aber da ich auch fast nichts darüber wußte, wo diese Inseln zu finden waren, glaubte ich vorbehaltlos, was man mir erzählte.)
Wie dem auch sei, in weniger als einer Stunde machte ich ein Schiff ausfindig und mußte nur ein paar Stunden warten. Ich war am frühen Nachmittag angekommen. Wir lichteten den Anker mit Einbruch der Dämmerung.
Manchmal frage ich mich, ob Seeleute nicht Unterricht darin bekommen, wie man merkwürdige und verwirrende Sachen macht, nur um uns zu beeindrucken. An Bord waren zehn, die an Tauen zerrten, Sachen festzurrten, andere Sachen losmachten, Kisten abstellten und entschlossen übers Deck streiften. Der Kapitän, eine Frau, stellte sich
Weitere Kostenlose Bücher