Picknick mit Bären
den Tatzen, den schweren Atem, das Geräusch, wenn er sich an Ihrer Zeltwand reibt, das Klappern von gestapeltem Kochgeschirr, wenn er dagegentritt. Stellen Sie sich vor, was für ein heißer Adrenalinschub durch Ihren Körper geht, wie es in Ihren Achselhöhlen kribbelt – dann der plötzliche, rauhe Stoß der Schnauze des Tieres gegen die Wand am Fußende Ihres Zeltes, das alarmierend wilde Flattern Ihrer dünnhäutigen Hülle, wenn das Tier Ihren Rucksack durchwühlt, den Sie unachtsamerweise am Eingang aufgebockt haben und in dessen Seitentasche sich, wie Ihnen siedendheiß einfällt, ein Snickers befindet. Bären sind geradezu versessen auf Snickers, haben Sie mal gehört.
Und dann das dumpfe Gefühl – ach, du meine Güte –, daß Sie den Snickers-Riegel mit ms Zelt genommen haben, daß er hier irgendwo liegt, zu ihren Füßen oder unter Ihnen, oder – ach, du Scheiße, hier ist er ja! Der nächste Stoß der Schnauze, begleitet von einem Grunzen, gegen das Zelt, diesmal unweit Ihrer Schulter. Wieder das Flattern der Zeltwand. Dann Stille, eine lang anhaltende Stille, und – Moment, psssst!… jawohl! – die unsägliche Erleichterung, als Ihnen klar wird, daß der Bär hinüber auf die andere Seite des Lagers geschlurft ist oder sich zurück in den Wald verzogen hat.
Ich sage Ihnen, ich würde das nicht aushaken.
Nun stellen Sie sich vor, wie erst dem kleinen zwölfjährigen David Anderson zumute gewesen sein mußte, als um halb vier morgens, bei dem dritten Übergriff, sein Zelt urplötzlich mit einem Tatzenhieb aufgeschlitzt wurde und der Bär, von dem starken, in der Luft liegenden Geruch nach Hamburgern zur Raserei getrieben, seine Zähne in ein hastig zurückzuckendes Bein schlug und den brüllenden, strampelnden Knaben durch das Lager schleppte, hinein in den Wald. In den wenigen Sekunden, die seine Kameraden brauchten, um sich aus ihren Sachen zu schälen. Und stellen Sie sich weiter vor, was es heißt, sich aus plötzlich voluminösen Schlafsäcken herauszuwühlen, nach den Taschenlampen zu kramen, sich einen provisorischen Knüppel zu schnappen, die Zeltverschlüsse hochzuziehen und hinter dem Tier herzujagen – in diesen wenigen Sekunden hauchte der arme kleine David Anderson sein Leben aus.
Und nun stellen Sie sich vor, Sie läsen ein Sachbuch, in dem es nur so wimmelt von solchen Geschichten – wahren Geschichten, nüchtern erzählt –, kurz bevor Sie allein zu einer Wanderung durch die nordamerikanische Wildnis aufbrächen. Das Buch, von dem hier die Rede ist, heißt Bären: Jäger und Gejagte in Amerikas Wildnis, und der Verfasser ist der kanadische Wissenschaftler Stephen Herrero. Wenn das Buch nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit ist, dann möchte ich das letzte Wort lieber nicht erfahren. Während sich draußen in New Hampshire der Schnee auftürmte und meine Frau friedlich neben mir im Bett schlummerte, verbrachte ich ganze Nächte damit, mit angstvoll aufgerissenen Augen klinisch exakte Berichte über Menschen zu lesen, die in ihren Schlafsäcken zu Brei zermalmt, die wimmernd von Bäumen heruntergeholt worden waren, an die die Bestie sich geräuschlos herangepirscht hatte – ich wußte nicht, daß so etwas vorkam –, als sie gerade unbedarft durchs Laub schlenderten oder ihre Füße in einem kalten Gebirgsbach baumeln ließen. Über Menschen, die den verhängnisvollen Fehler begangen hatten, sich wohlriechendes Gel ins Haar zu schmieren, ein saftiges Stück Fleisch zu essen, sich für später einen Snickers-Riegel in die Brusttasche zu stecken, sich sexuell zu betätigen, zu menstruieren oder die Geruchsempfindlichkeit des hungrigen Bäreninsonstwie unachtsamer Weise zu reizen. Oder deren Verhängnis, auch das gab es, schlicht darin bestand, außerordentlich großes Pech zu haben – um eine Kurve zu gehen und auf ein hungriges Bärenmännchen zu treffen, das den Weg versperrt, den Kopf erwartungsvoll hin und her wiegt, oder darin, nichts Böses ahnend in das Revier eines Bären zu tapern, der, bedingt durch Alter und Trägheit, zu alt war, um flinkere Beute zu jagen.
Ich will gleich klarstellen, daß die Wahrscheinlichkeit eines schweren Übergriffs durch einen Bären am Appalachian Trail äußerst gering ist. Zunächst einmal wütet der wirklich gefährliche amerikanische Bär, der Grizzly – Ursus horribilis, wie er anschaulich und korrekterweise bezeichnet wird –, nicht östlich des Mississippi, was immerhin von Vorteil ist, denn Grizzlys sind riesig, stark und
Weitere Kostenlose Bücher