Pilger Des Hasses
»weiß ich so gut wie jeder andere.«
»Gewiß! Aber Ihr wißt nicht, was darauf folgte. In Gwytherin gab es einen walisischen Herren, der nicht zulassen wollte, daß die Ruhe des Mädchens gestört würde. Er ließ sich weder durch Drohungen noch durch Bestechung überreden, sie gehen zu lassen. Und dann starb er, Hugh - er wurde ermordet. Von einem der unseren, von einem ehrgeizigen Bruder, der schon die Bischofsmütze im Auge hatte. Aber als wir ihn anklagen wollten, kämpfte er um sein Leben. An jenem Ort gab es zwei junge Leute, die Tochter des toten Herren und ihren Geliebten, die durch ihn in Gefahr geraten waren. Der Junge schlug zornig und mit gutem Grunde zu, als er sein Mädchen verletzt und blutend sah. Er war stärker, als er gedacht hatte. Er brach dem Mörder den Hals.«
»Wie viele Menschen haben davon gewußt?« fragte Hugh. Er zog die Augen zusammen und betrachtete nachdenklich die glänzenden Blätter der Rosenbüsche.
»Nur die Liebenden, der Tote und ich. Und die heilige Winifred, die aus ihrem Grab geholt und in den Sarg gelegt worden war, den jedermann hier kennt. Sie wußte davon. Sie war dabei. Von dem Augenblick an, als ich sie heraufholte«, sagte Cadfael, »denn ich selbst war es, der sie aus der Erde hob, und ich war es, der sie wieder hineinsenkte - ich bin heute noch froh darüber -; von dem Augenblick an, als ich ihre zarten Gebeine freilegte, hatte ich das Gefühl, daß sie nichts weiter wollte, als in Frieden gelassen zu werden. Es war ein kleiner, verwilderter und stiller Friedhof mit einer kleinen Kapelle, die schon lange nicht mehr benutzt wurde; überall üppig blühende Wiesenblumen und weiche grüne Grabhügel. Und der walisische Boden! Das Mädchen war Waliserin, von der gleichen Abstammung wie ich, ihre Kirche war von der alten Art, und was wußte sie schon von einer fernen englischen Grafschaft? Und ich hatte diese jungen Leute in meiner Obhut.
Wer hätte ihrem oder meinem Wort geglaubt, wo auf der anderen Seite die ganze Macht der Kirche stand? Man hätte die Reihen geschlossen, um den Skandal zu begraben und den Jungen dazu, dabei hatte er sich nichts weiter zuschulden kommen lassen, als seine Liebste zu verteidigen. Also ergriff ich gewisse Maßnahmen.«
Hughs bewegliche Lippen zuckten. »Nun versetzt Ihr mich aber in Erstaunen! Welche Maßnahmen waren das wohl? Ein Bruder, für dessen Tod Erklärungen gefunden werden mußten, Prior Robert, der bei Laune gehalten werden mußte...«
»Na ja, Robert ist eine schlichtere Seele, als er selbst annimmt, und der tote Bruder half mir sehr. Er hatte sich bemüht, seine Frömmigkeit herauszustellen. Er hatte auch Botschaften von der Heiligen übermittelt – er sagte uns, sie wollte das Grab, aus dem sie gehoben worden war, dem Ermordeten überlassen -, und er fiel in einen Trancezustand und betete darum, diese Welt lebendig verlassen und ein Leben im göttlichen Segen führen zu dürfen... so taten wir ihm diesen kleinen Gefallen. Er hatte allein in der alten Kirche Nachtwache gehalten, und am Morgen nach seiner Wache fand man seine Kutte und die Sandalen zusammengefallen in einem Gebetsstuhl, und sein Körper hatte sich offenbar daraus emporgehoben. Es duftete süß, und überall lagen Weißdornblüten. Er hatte zuvor behauptet, die Heilige sei ihm erschienen, und warum sollte Robert sich nicht daran erinnern und ihm glauben? Er war gewiß fort. Warum sollte man ihn suchen? Würde denn ein Bruder aus unserem Hause splitternackt durch die walisischen Wälder laufen?«
»Wollt Ihr mir etwa sagen«, fragte Hugh vorsichtig, »daß das, was Ihr hier im Reliquienschrein habt, gar nicht... dann war der Sarg noch nicht versiegelt?« Seine Augenbrauen hoben sich bis zu der Haarsträhne in seiner Stirn, aber seine Stimme blieb leise und gleichmütig.
»Nun...« Cadfael rieb sich verlegen die braune Knollennase.
»Versiegelt war er schon, aber es gibt viele Möglichkeiten, ein Siegel so zu öffnen, daß es unverletzt scheint. Das ist eine der eher zweifelhaften Fähigkeiten, die ich erworben habe, aber damals war ich froh darüber.«
»Und Ihr legtet die Dame mit ihrem Verehrer an den Ort zurück, an dem sie gewesen war?«
»Er war ein anständiger, guter Mann, und er hatte edel für sie gesprochen. Sie würde ihm den Platz nicht neiden. Ich habe fest geglaubt«, gab Cadfael zu, »daß sie keine Einwände dagegen hatte. Sie hat danach in Gwytherin durch viele Wunder ihre Kraft bewiesen, also kann ich nicht glauben, daß sie
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