Pilger Des Hasses
das Übel, das Ihr befürchtet habt, Bruder Cadfael? Ihr spracht von einem weiteren Mord...«
»Ehrwürdiger Vater«, entgegnete Cadfael, »bis auf die vogelfreien Männer, die in den Wald geflohen waren, ist niemand zu Schaden gekommen. Die Räuber sind gefangen und werden unter Bewachung in die Burg geführt. Der Mord, den ich fürchtete, konnte verhindert werden, und in jenem Gebiet gibt es keine Gefahr mehr. Ich sagte, wenn die beiden jungen Männer überholt werden können, ist es sicher für einen von ihnen gut, vielleicht sogar für beide. Ehrwürdiger Vater, sie wurden rechtzeitig eingeholt, und dies war gewiß für beide das Beste.«
»Doch bleibt da noch«, wandte Radulfus grübelnd ein, »der Blutfleck, den wir gesehen haben. Ihr sagtet - Ihr werdet Euch erinnern -, daß wir in der Tat einen Mörder bei uns beherbergt haben. Sagt Ihr dies noch immer?«
»Ja, Ehrwürdiger Vater. Aber es ist nicht, wie Ihr vermutet.
Wenn Olivier de Bretagne und Luc Meverel zurück sind, kann alles erklärt werden, denn im Augenblick«, erklärte Cadfael, »gibt es noch einiges, was wir nicht wissen. Aber wir wissen, daß die Dinge, die heute nacht geschehen sind, das Beste sind, was wir hätten erbitten können, und wir haben gewiß Anlaß, ein Dankgebet zu sprechen.«
»Dann ist alles gut?«
»Ja, es ist alles gut, Ehrwürdiger Vater.«
»Dann kann der Rest bis zum Morgen warten. Ihr braucht Ruhe. Aber wollt Ihr nicht mit mir kommen und etwas essen und einen Becher Wein trinken, ehe Ihr schlaft?«
»Meine Frau wartet sicher schon besorgt auf mich«, sagte Hugh, sich höflich entschuldigend. »Euer Angebot ist sehr freundlich, Ehrwürdiger Vater, aber sie soll sich nicht länger ängstigen, als unbedingt notwendig ist.«
Der Abt betrachtete die beiden und drängte nicht weiter.
»Gott segne Euch dafür!« seufzte Cadfael, als er über den leicht abschüssigen Hof zum Torhaus ging, wo Hugh sein Pferd angebunden hatte. »Ich schlafe fast im Stehen ein, und nicht einmal ein guter Wein könnte mich wiederbeleben.«
Das Mondlicht war verblaßt und die Sonne noch nicht aufgegangen, als Olivier de Bretagne und Luc Meverel langsam durch das Torhaus der Abtei in den Hof ritten. Sie wußten beide nicht mehr genau, wie lange sie durch die tiefe Nacht gewandert waren, denn sie waren beide Fremde in diesem Land. Selbst als Luc eingeholt und höflich angesprochen wurde, war er blind weitergelaufen; seine Hände hingen schlaff an den Seiten herab, und er hob sie höchstens einmal, um die Büsche zu teilen; er sprach kein Wort, er hörte nichts; nur ein winziger Teil in ihm bemerkte den ruhigen, unermüdlichen Verfolger, der ihm mitfühlend und unaufdringlich folgte. Als er endlich ins hohe Gras einer Wiese am Waldrand niedersank, band Olivier sein Pferd ein Stück entfernt fest und legte sich neben ihn, nicht zu nahe, aber doch so nahe, daß der Stumme wußte, daß er dort war und geduldig wartete. Nach Mitternacht war Luc eingeschlafen. Schlaf war sein dringendstes Bedürfnis.
Er war des Antriebs beraubt, der ihn seit zwei Monaten am Leben hielt; ein toter Mann, der nur noch umging, weil er nicht sterben konnte. Schlaf war die Erlösung. Vielleicht konnte er endlich wirklich sterben und sein Verlustgefühl und die Bitterkeit vergessen, die schreckliche Leidenschaft, die ihn angetrieben hatte, den gräßlichen Kummer um seinen Herrn, der in seinen Armen, an seiner Schulter, an seinem Herzen gestorben war.
Der Blutfleck, der sich nicht herauswaschen ließ, egal, wie lange er scheuerte, war sein Zeuge. Er hatte ihn im Hemd gelassen, um seinen Haß zur Weißglut anzufachen. Jetzt aber, im Schlaf, war er von allem befreit.
Er war von den frühesten Vögeln geweckt worden, die in der Stille vor der Dämmerung noch zögernd sangen. Er öffnete die Augen und sah in ein Gesicht, das sich über ihn beugte, ein Gesicht, das er nicht kannte, das er aber kennenlernen wollte, denn es blickte lebhaft, freundlich und ruhig und wartete höflich, bis er zu sich gekommen war. »Habe ich ihn getötet?« fragte Luc; irgendwie wußte er, daß der Mann, zu dem dieses Gesicht gehörte, die Antwort kannte.
»Nein«, sagte er ernst und leise. »Das war nicht nötig. Aber für Euch ist er tot. Ihr könnt ihn jetzt vergessen.«
Das verstand er nicht, aber er nahm es hin. Er setzte sich im kühlen, reifen Gras auf, und seine Sinne begannen sich wieder zu regen. Er nahm entfernt wahr, daß die Erde süßlich roch, daß im Himmel über ihm verblassende
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