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Pilgern auf Französisch

Pilgern auf Französisch

Titel: Pilgern auf Französisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coline Serreau
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Chemin Faisant?«
    Kaum hat er die Frage gestellt, kommt er sich auch schon blöd vor — natürlich ist das die Gruppe von Chemin Faisant, es steht ja ganz groß auf dem Transparent.
    »Ich bin Said Keifa, und das ist mein Vetter Ramzi.«
    Guy sieht auf seiner Liste nach und heißt die beiden herzlich willkommen.
    Pierre sieht sie von oben herab an — das hat gerade noch gefehlt: Araber!
    Said und Ramzi ist viel daran gelegen, von der Gruppe akzeptiert zu werden, und sie machen sich daran, den anderen überaus höflich die Hand zu schütteln. Mathilde erwidert den Gruß mit einem Lächeln und einem Händedruck. Claras Stimmung hellt sich auf, sie hat in der Schule ständig mit Muslimen und Nordafrikanern zu tun, sie kennt sie gut und mag sie gern.
    Pierre gibt ihnen nicht die Hand, er dreht sich weg. Said und Ramzi sind traurig.
    Wenn man gedemütigt wird, drückt einen erst einmal die Trauer nieder — ein Gefühl, das noch verstärkt wird, wenn man glaubt, dass man hässlich, unbedeutend oder uninteressant sei. Viel später dann, manchmal erst nach Jahren oder auch ganze Generationen später, kommen die Wut und das Aufbegehren hoch. Hass. Berechtigter Hass.
    Wie viele innere Berge muss man bezwingen, um die Selbstverachtung zu überwinden, die einen befällt, wenn sich eine ganze Gesellschaft um die eigene Minderwertigkeit herum organisiert?
    Alle, die diese steilen Berge hinter sich gelassen haben — Frauen, Alte, Hässliche, Arme, Farbige, Bauern, Immigranten, Dicke, Gedemütigte und Verfolgte sind für immer Brüder und Schwestern, sie sind die Könige und Königinnen der Welt.
    Aber Said ist heute so aufgeregt, dass er sich nicht damit aufhält, gegen rassistische Zurückweisung anzukämpfen. Er hat ihr schon einige Schlachten geliefert, aber nicht so viele, wie er Kränkungen ausgesetzt war. Meist beachtet er sie nicht und will nur seine Ruhe haben.
    Seine Nervosität wächst, denn er sieht diejenige nicht, die er sucht — diejenige, für die er die vielen Kilometer in diese fremde Stadt zurückgelegt hat.
    Er fragt Guy, ob noch weitere Pilger zur Gruppe stoßen werden.
    »Ja, wir erwarten noch drei Personen.«
    »Ach ja? Wie heißen die denn?«
    Guy befragt seine Liste.
    »Also, das wären Claude, Elsa und Camille.«
    Ramzi fährt zusammen, als er diesen Namen hört.
    »Camille? Ich kenn ’ne Camille, oder, Said? Wir kennen doch ’ne Camille — die Tochter von der Rektorin von Saids Gymi. Oder, Said?«
    Im Gegensatz zu Said hat Ramzi einen starken Vorstadtghetto-Akzent.
    Früher sprachen die Menschen, die aus der Bretagne, den Cevennen oder aus dem Berry in die Hauptstadt kamen, breitesten Dialekt. In Paris hat sich ihre Sprache abgeschliffen, die klingenden Wörter ihrer Kindheit sind verlorengegangen. Doch im Lauf der Zeit und der Generationen brachen bei den ehemaligen Provinzlern die Dämme der zurückgedrängten Mundarten. Mit aller Macht flössen sie wieder in ihre Sprache ein, und diese wurde zu einem Quell, dem neue, stark dialektgefärbte Wörter entsprangen und die Alltagssprache bereicherten. (Das war »Parigot«, das Argot der Pariser.)
    Rundfunk und Fernsehen haben dieses Pariserisch schließlich glatt gebügelt und daraus eine Sprache gemacht, die so platt ist wie ein Wanze, voller Verbote und Klischees, voller moralinsaurer, politisch korrekter Hohlformen. Doch sprachliche Wendungen, Sinn, Freude und Verzweiflung entstehen zum Glück auf der Straße und brechen die verkrustete Hochsprache der oberen Schichten auf, so wie ein zu enges Kleid über dem Bauch einer schwangeren Frau reißt. Das wahre Französisch lebt und erfindet sich heute in den afrikanischen und maghrebi-nischen Dialekten immer wieder neu.
    Während Ramzi spricht, lauert Said schon beunruhigt auf Erstaunen und Missbilligung, die in den Gesichtern der meisten Leute aufscheinen, wenn sein Vetter Wörter verdreht und Unsinn redet.
    Ramzi fährt auf: »Mensch, Said, sieh mal, da is Camille — die Camille, die wir kennen, is da drüben. Was macht die denn hier?«
    »Ach ja, das... äh, das ist sie...«
    Ramzi deutet auf zwei junge Frauen mit Rucksäcken, die die Bahnhofshalle betreten haben und suchend umherblicken. Guy hebt sein Transparent Chemin Faisant hoch, Camille sieht es, aber sie sieht vor allem Said. Sie geht auf ihn zu.
    »Said! Ja, was tust du denn hier?«
    Saids Gesicht hellt sich auf, als er Camille ansieht — er strahlt wie Odysseus bei der Rückkehr nach Ithaka.
    »Ich? Ach, nichts... ich unternehme eine

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