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Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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breitschlagen lassen, aber dieses Gefühl war nicht ganz aufrichtig. Er hätte sich ohnehin drei Monate lang in der Basis herumdrücken müssen – eher gab es keine Verbindung mit dem Sonnensystem –, und angesichts der Vorstellung, in den Klimagärten der Basis herumzulungern und vor einem stumpfsinnigen Fernsehprogramm zu glucken (eine Unterhaltungskonserve, die mindestens ihre zehn Jahre auf dem Buckel hatte), war er mit Freuden auf das Angebot seines Vorgesetzten eingegangen, der seinerseits froh war, Krull einen Gefallen tun zu können – er selbst hatte nämlich keinen Mann mehr frei, und das Reglement verbot, zwei Leute allein auf Fahrt zu schicken. So mußte Pirx dem Kosmographen wie ein Geschenk des Himmels erscheinen. Krull allerdings war keine Begeisterung anzumerken – weder damals noch später. Anfangs glaubte Pirx sogar, Krull verdächtigte ihn irgendwelcher »Starallüren«, da er als Kommandant eines Raumschiffes plötzlich eingewilligt hatte, ein simpler Explorator zu werden. Es sah aus, als hegte Krull einen heimlichen Groll gegen ihn, in Wahrheit war er in der Mitte seiner Jahre (er hatte die Vierzig überschritten) lediglich ein wenig bitter geworden, als hätte man ihm sein Lebtag nichts anderes eingetrichtert als Wermut. Und da sich in dieser Abgeschiedenheit nichts verheimlichen ließ und die Menschen mit all ihren kleinen Schwächen und all ihren Tugenden sehr bald so leicht zu durchschauen waren wie Glas, hatte Pirx im Nu begriffen, woher der Makel in Krulls Charakter rührte, der Makel im Wesen dieses ausdauernden, ja harten Mannes, der reichlich zehn Jahre Außendienst hinter sich hatte. Krull war es einfach nicht gelungen, das zu werden, was ihm seinerzeit ein Herzenswunsch gewesen war, weil er sich für den ersehnten Beruf nicht eignete. Und daß er früher einmal davon geträumt hatte, nicht Kosmograph zu werden, sondern Intellektroniker, wurde Pirx sonnenklar, als er sah, wie unnachgiebig sich Krull Massena gegenüber gebärdete, sobald das Gespräch auf intellektronische Themen kam (Krull sagte übrigens »intellektrale« – im Fachjargon). Leider fehlte es Massena am nötigen Verständnis, vielleicht waren ihm Krulls Motive auch einerlei. Nicht genug, daß er, wenn der andere auf einer falschen Lösung beharrte, sich nicht damit zufriedengab, sie zu negieren, nein – er legte, den Bleistift in der Hand, Krull aufs Kreuz, baute Schritt für Schritt seinen mathematischen Beweis auf und brachte ihn zu Ende, eine Genugtuung im Gesicht, als wollte er nicht so sehr die Richtigkeit seiner These beweisen als vielmehr die Auffassung, daß Krull ein blasierter Esel war. Aber das stimmte nicht. Blasiert war Krull nicht, er war nur überempfindlich, eben wie jemand, dessen Ehrgeiz woanders liegt als seine Fähigkeiten.
    Pirx, der unfreiwillig Zeuge eines solchen Gesprächs wurde – kein Kunststück übrigens, da sie doch gemeinsam die vierzig Quadratmeter große Baracke bewohnten und die Schallisolierung der Trennwände lediglich eine Wunschvorstellung war –, ahnte schon, womit das enden würde. Und wirklich: Krull, der nicht wagte, Massena zu zeigen, wie sehr ihn die Niederlage kränkte, ließ seinen ganzen Unwillen an Pirx aus, natürlich in der ihm eigenen Art und Weise: Wenn es nicht unbedingt sein mußte, sprach er nicht mit ihm.
    Nun fühlte sich Pirx nur noch zu Massena hingezogen. Mit diesem schwarzhaarigen, helläugigen Neurastheniker hätte er sich tatsächlich anfreunden mögen, aber mit Neurasthenikern kam er nie recht zu Rande, weil er ihnen insgeheim nicht über den Weg traute. Massena hatte immer irgendein Zipperlein: Er ließ sich in den Hals gucken und kündigte alle naselang Witterungsumschwünge an, weil er das Reißen in den Knochen habe (seine Prophezeiungen trafen nie ein, was ihn jedoch nicht dazu veranlaßte, sie einzustellen), er litt angeblich an Schlaflosigkeit und kramte allabendlich ostentativ seine Pillen hervor, die er allerdings nie nahm – er legte sie nur für alle Fälle neben die Koje, und am anderen Morgen erklärte er Pirx, der bis spät in die Nacht gelesen und Massenas Schnarchen deutlich gehört hatte, er habe überhaupt kein Auge zugetan (was er anscheinend selbst glaubte). Darüber hinaus aber war er ein hervorragender Fachmann und ein glänzender Mathematiker mit großem Organisationstalent, dem die laufende Programmierung der automatischen, also unbemannten Exploration oblag. Eines dieser Programme hatte er stets bei sich, um es »in freien

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