Pilot Pirx
Zeit, da er Kommandant des »Coriolan« gewesen war – auf jeden Fall hielt er den Ausgangspunkt für nicht ganz ehrlich, den Ausgangspunkt einer Situation, in der der Mensch außerhalb seiner selbst ein Denkvermögen schuf und es in Abhängigkeit von sich selbst brachte. Er hätte wahrscheinlich nicht definieren können, was diese leichte Beklemmung in ihm hervorrief, dieses Gefühl, gewissermaßen eine Rechnung nicht beglichen, eine falsche Entscheidung gefällt oder, grob gesagt, eine Gemeinheit zwar geschickt, aber immerhin begangen zu haben. Es lag eine perverse Raffinesse in jener maßvollen Vernunft, mit der der Mensch das über sich selbst erworbene Wissen den kalten Maschinen einhauchte und dabei aufpaßte, daß sie nur gerade soviel Bewußtheit bekamen wie erforderlich, ohne Aussicht darauf, ihrem Schöpfer jemals die Herrlichkeiten dieser Welt streitig machen zu können. Goethes Maxime »In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister« erhielt, was die findigen Konstrukteure betraf, unversehens den Beigeschmack einer Huldigung, die sich in eine höhnische Verwünschung verkehrte, denn nicht sich selbst erlegten sie ja Beschränkungen auf, sondern ihren Werken, und dies mit grausamer Präzision. Natürlich hätte Pirx sich niemals dazu hinreißen lassen, diesen Gedanken laut zu äußern, denn er war sich bewußt, wie lächerlich er klingen mußte. Die Automaten wurden in ihrer Existenz nicht benachteiligt oder ausgebeutet – die Sache war einfacher, moralisch schwerer anfechtbar und schlimmer zugleich. Man hatte sie beschränkt, noch ehe sie entstanden, schon auf dem Zeichenpapier.
An jenem Tag, ihrem vorletzten auf dem Planeten, waren die Arbeiten eigentlich schon abgeschlossen. Als sie aber die Bänder mit den Untersuchungsergebnissen sortierten, stellten sie fest, daß eines fehlte. Zuerst durchsuchten sie das Gedächtnis der Maschine, dann wühlten sie in allen Schubladen und Fächern, wobei Pirx von Krull zweimal dazu aufgefordert wurde, gründlich zwischen seinen persönlichen Sachen nachzusehen, was schon an Schikane grenzte, weil Pirx mit dem Band überhaupt nicht in Berührung gekommen war und es niemals in seinen Koffer gesteckt hätte. Pirx hatte nicht übel Lust, Krull endlich mal die Meinung zu sagen, zumal er bisher immer den Mund gehalten und das schroffe, ja beleidigende Benehmen von Krull nach besten Kräften entschuldigt hatte. Aber er schluckte auch diesmal seinen Ärger hinunter und erklärte, falls man die Messungen wiederholen müßte, wäre er gern bereit, sie allein vorzunehmen, mit Aniel als Helfer.
Krull war jedoch der Auffassung, Aniel sei auf die Hilfe von Pirx überhaupt nicht angewiesen. Sie bürdeten dem Roboter also Apparat und Fotospulen auf und schickten ihn, nachdem sie ihm Rückstoßpatronen ins Gürtelhalfter gesteckt hatten, in die Gipfelregion des Bergvorlandes.
Der Roboter brach um acht Uhr morgens auf, und Massena äußerte, daß er bis zum Mittagessen seine Sache geschafft haben würde. Es wurde jedoch zwei, drei, schließlich vier Uhr, es dämmerte bereits, und Aniel war immer noch nicht zurück.
Pirx saß in der Barackenecke unter der Kadmiumwandleuchte und schmökerte in einer zerflederten alten Schwarte, die er sich noch in der Basis von irgendeinem Piloten geliehen hatte, aber er erfaßte kaum, was er da las: ihm war es zu unbequem. Die dünne, gerippte Aluminiumwand drückte ihn im Rücken, außerdem hatte das Kissen keine Luft mehr, und er spürte, wie die scharfkantigen Schrauben der Konstruktion sich ihm durch das Gummigewebe hindurch in die Schenkel bohrten. Trotzdem wechselte er nicht die Stellung, weil die Unbequemlichkeit auf seltsame Weise mit der Wut korrespondierte, die allmählich in ihm hochstieg. Weder Krull noch Massena schienen Aniel bis jetzt zu vermissen. Krull, der nun wirklich kein Witzbold war und auch gar nicht den Anschein zu erwecken versuchte, hatte, weiß der Himmel, warum, von Anfang an darauf bestanden, den Roboter »Engel« zu nennen oder sogar »Eiserner Engel«, eine andere Anrede gebrauchte er überhaupt nicht, und dieser im Grunde harmlose Scherz hatte Pirx so oft in Rage gebracht, daß er den Kosmographen schon deshalb nicht mochte. Massenas Verhältnis zu dem Roboter war beruflich bedingt: Alle Elektroniker wissen (oder geben zumindest vor zu wissen), welche molekularen Prozesse und Ströme diese oder jene Reaktion des Automaten auslösen, und dieses Wissen stempelte alle Anspielungen über deren angebliches
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