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Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Seelenleben als absoluten Blödsinn ab. Nichtsdestoweniger verhielt sich Massena dem Roboter gegenüber loyal – wie ein Mechaniker zu seinem Dieselmotor: Er sorgte dafür, daß er nicht überlastet wurde, schätzte ihn wegen seiner Leistungsfähigkeit und kümmerte sich um ihn, so gut er konnte.
    Um sechs hielt es Pirx nicht länger in seiner Ecke, ein Bein war ihm eingeschlafen. Er dehnte und reckte sich also, daß die Knochen knackten, ließ den Fuß kreisen und beugte das Bein im Knie, um den Blutkreislauf anzuregen. Dann begab er sich auf seine Wanderung quer durch die Baracke, wohl wissend, daß es nichts gab, womit er Krull, der in die Schlußberechnungen vertieft war, mehr ärgern konnte.
    »Ihr könntet wirklich ein bißchen leiser sein!« sagte Krull schließlich, als meinte er alle beide und als wüßte er nicht, daß nur Pirx es war, der durch die Baracke lief. Massena fläzte sich nämlich in einem pneumatischen Sessel, den Kopfhörer an den Ohren, und amüsierte sich, einen komisch verträumten Ausdruck im Gesicht, über irgendeine Sendung. Pirx riß die Tür auf, an der ein heftiger Westwind rüttelte, und als sich seine Augen etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatten, spähte er, die unter den Windstößen bebende Blechwand im Rücken, in die Richtung, aus der Aniel kommen mußte. Er sah nur wenige Sterne, sie flirrten und flimmerten in der Luft, die mit hohem, auf und ab schwellendem Brausen als kalter Strom seinen Kopf umfloß und ihm das Haar zerzauste. Seine Nasenflügel und Lungen blähten sich förmlich, der Wind wehte wohl mit annähernd vierzig Metern in der Sekunde. So verharrte Pirx eine Weile, und als ihm kalt wurde, kehrte er in die Baracke zurück, wo Massena gähnend die Kopfhörer absetzte und sich mit den Fingern durchs Haar fuhr, während der faltige, hagere Krull geduldig die Papiere in die Mappen legte und einen Stoß Blätter aufstuckte, damit sie gleichmäßig aufeinanderlagen.
    »Immer noch keine Spur von ihm!« ließ sich Pirx vernehmen, und er wunderte sich selbst, daß seine Worte fast wie eine Herausforderung klangen. Die beiden mußten den besonderen Ton darin auch bemerkt haben, denn Massena warf Pirx einen raschen Blick zu und entgegnete: »Das macht nichts, er findet auch im Dunkeln zurück. Dann benutzt er eben Infrarot ...«
    Pirx sah ihn an, gab aber keine Antwort. Als er bei Krull vorbeikam, nahm er sein Buch vom Stuhl, setzte sich wieder in seine Ecke und tat, als ob er läse. Der Wind wurde stärker. Das Rauschen draußen schwoll an, steigerte sich zu einem Tosen, einmal klatschte etwas Weiches gegen die Wand, wohl ein Zweig, dann wieder trat minutenlang Stille ein. Massena wartete offensichtlich darauf, daß Pirx, gefällig wie immer, Abendbrot machen würde. Schließlich erhob er sich aber und schickte sich an, die Konservendosen mit der Selbstheizpatrone zu öffnen, nachdem er ausgiebig die Etiketten studiert hatte, als hoffte er, unter den Vorräten einen ganz besonderen, bisher unentdeckt gebliebenen Leckerbissen zu finden. Pirx war nicht nach Essen zumute. Eigentlich hatte er sogar Hunger, aber er rührte sich nicht vom Fleck. Allmählich erwachte eine kalte Wut in ihm, die sich, Gott weiß warum, gegen seine beiden Gefährten richtete, und dabei waren sie doch wahrhaftig nicht die schlechtesten. Befürchtete er, daß Aniel etwas zugestoßen war? Daß der Roboter womöglich von »geheimnisvollen Bewohnern« des Planeten überfallen worden war, von Geschöpfen also, an deren Existenz außer ein paar Spinnern niemand glaubte? Wenn die Wahrscheinlichkeit, daß irgendwelche Wesen auf dem Planeten siedelten, auch nur in einem Verhältnis von eins zu hunderttausend gegeben wäre, dann hätten die Männer ganz bestimmt nicht so tatenlos herumgelungert und sich in Kleinigkeiten verzettelt, sondern sie wären unverzüglich darangegangen, alle Maßnahmen zu treffen, die in den Punkten zwei, fünf, sechs und sieben des Paragraphen achtzehn der Dienstordnung vorgeschrieben waren, zuzüglich des dritten und vierten Absatzes der Sonderbestimmungen. Aber selbst diese Möglichkeit gab es nicht. Es gab gar keine. Eher wäre die unsichere Sonne des Jota explodiert. Ja, das wäre wesentlich wahrscheinlicher gewesen. Was also konnte passiert sein?
    Pirx spürte, wie trügerisch die Ruhe in der Baracke war, die unter dem Ansturm des Windes erzitterte. Nicht nur er tat so, als wäre er in sein Buch vertieft und als hätte er das Abendbrot völlig vergessen. Die beiden anderen

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