Pilot Pirx
allein zurückblieb, mitten im düsteren kalten Schatten von Stellen, in die niemals ein Sonnenstrahl drang. Sie setzten eben den Fuß auf ein Firnfeld, das von Steinsplittern gesprenkelt war, da ging Massena plötzlich langsamer und blieb stehen, als hätte er etwas gehört. Pirx, der ihn als erster einholte, begriff: Massena tippte mit dem Finger an sein Ohr, in dem das olivengroße Mikrofon saß.
»Ist er hiergewesen?«
Massena nickte nur und hielt den kleinen Metallstab des Geigerzählers über den schmutzigen, verharschten Schnee. Aniels Schuhsohlen waren mit radioaktiven Isotopen angereichert, und der Zähler hatte seine Spur entdeckt. Der Roboter mußte am Vortag hier entlanggegangen sein, sie wußten nur nicht, ob beim Aufstieg oder erst auf dem Rückweg. Auf jeden Fall kannten sie nun seine Route. Von da an marschierten sie langsamer.
Man hätte meinen können, der dunkle Felspfeiler stünde fast in Reichweite, aber Pirx wußte ja, wie sehr man sich beim Schätzen von Entfernungen im Hochgebirge täuschen kann. Sie stiegen und stiegen. Der Schnee und die Blöcke des Kars lagen jetzt unter ihnen, sie gingen einen alten Grat mit abgerundeten Zacken entlang, und Pirx kam es vor, als hörte er in der Grabesstille Massenas Kopfhörer piepsen, aber das war kaum möglich. Massena blieb wiederholt stehen, bewegte das Ende des Aluminiumstabes, hielt ihn so tief, daß er beinahe den Felsen berührte, und zeichnete damit Schleifen und Achten in der Luft wie ein Wünschelrutengänger. Wenn er die Spur gefunden hatte, setzte er sich wieder in Bewegung. Sie waren nun nicht mehr weit von der Stelle entfernt, wo Aniel die Messungen hatte vornehmen sollen. Pirx graste die Gegend aufmerksam nach Spuren des Verschollenen ab.
Aber das Gestein blieb stumm. Der leichteste Abschnitt lag nun hinter ihnen – vor ihnen türmten sich Platten mit unterschiedlicher Neigung, die unter der Sohle des Pfeilers aufragten. Das Ganze sah aus wie ein mutwilliger, gigantischer Querschnitt der Felsschichten, und das stellenweise bloßgelegte Innere des steinernen Absturzes wies die ältesten Formationen des Bergkerns auf, hier und da zermalmt, weil sie von der fürchterlichen Last der ganzen Wand, die sich kilometerhoch in den Himmel reckte, zusammengepreßt wurden. Noch hundert, noch fünfzig Schritt – dann war Schluß.
Massena lief im Kreise und bewegte das Ende des Geigerzählers vor sich her. So drehte er scheinbar ziel- und wahllos seine Runden, mit zusammengekniffenen Augen (die dunkle Brille hatte er auf die Stirn geschoben) und ausdruckslosem Gesicht. Plötzlich blieb er ein Dutzend Meter von ihnen entfernt stehen und sagte: »Er ist hiergewesen. Und zwar ziemlich lange.«
»Woher weißt du das?« fragte Pirx.
Der andere zuckte die Achseln, nahm die Olive aus dem Ohr, die zusammen mit dem Stab des Zählers am dünnen Leitungsdraht baumelte, und reichte sie Pirx. Nun hörte auch der ein Zwitschern und Piepsen, mitunter zu meckernden Tönen verzerrt. Auf dem Gestein waren keinerlei Abdrücke oder Spuren zu sehen. Nichts – nur dieser Ton, der einem mit giftigem Kreischen den Schädel füllte, und er bewies, daß sich Aniel an dieser Stelle tatsächlich lange aufgehalten haben mußte, denn fast jeder Meter Stein verriet es. Allmählich gelang es Pirx sogar, in diesem vermeintlichen Chaos einen gewissen Sinn zu entdecken. Aniel war offensichtlich auf demselben Weg hierhergelangt wie sie; er hatte den dreibeinigen Apparat aufgestellt und war, während er seine Messungen und Aufnahmen machte und mit der Kamera hantierte, in ihrer Nähe herumgelaufen. Er hatte dabei mehrmals den Standort gewechselt, um den günstigsten Beobachtungspunkt zu wählen. Ja, das fügte sich zu einem logischen Ganzen. Aber was war dann passiert?
Pirx schritt die Stelle in immer größer werdenden, spiralenförmigen Kreisen ab, um eine zentrifugal ausgehende Spur zu finden, doch es gab keine Spuren, die zurückführten. Aniel schien haargenau in seinen eigenen Fußstapfen zurückgekehrt zu sein, was sehr unwahrscheinlich war. Er hatte ja keinen Geigerzähler bei sich und war demnach außerstande, auf den Zentimeter genau zu bestimmen, wie er hierhergekommen war. Krull sagte etwas zu Massena, aber Pirx beachtete die beiden nicht und zog weiter seine Kreise, bis es ihm plötzlich so vorkam, als ob es im Kopfhörer einmal kurz, aber vernehmlich gepiepst hätte. Nun bewegte er sich Millimeter für Millimeter rückwärts. Ja, hier war es! Er riß die Augen auf,
Weitere Kostenlose Bücher