Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
Knochen eines Skeletts geschnitzt.
    Das Ende! dachte er. Sollte er sich mit der Kapsel hinausschleudern – mit dem Sitz in der Schutzhülle hinauskatapultieren? Nein, das ging nicht, der Fallschirm würde nicht bremsen, denn der Mond hatte ja keine Atmosphäre ... Hilfe! wollte er schreien, aber es war niemand da, den er hätte rufen können – er war allein. Was tun? Es muß doch irgendeinen Ausweg geben ...
    Noch einmal riß er an dem Hebel – fast wäre ihm die Hand aus dem Gelenk gesprungen. Er wollte weinen vor Verzweiflung. Dumm, sehr dumm ... Wo steckte bloß der Schlüssel ... Warum klemmte der Mechanismus ... Der Höhenmesser – er erfaßte alle Instrumente mit einem Blick – zeigte neuneinhalbtausend Kilometer. Der gezackte Kamm des Timocharis hob sich deutlich von dem glühenden Hintergrund ab. Pirx glaubte bereits die Stelle zu sehen, an der sich sein Schiff in den mit Pumex bedeckten Felsen bohren würde. Ein Donnerschlag, ein Blitzen, und dann ...
    Plötzlich, gerade als die Lichter aufflammten, fiel sein verzweifelt hin und her irrender Blick auf die vierfache Reihe von Kupferadern. Ganz deutlich war dort das schwarze Klümpchen zu sehen, das die Kabel miteinander verband – der Rest der verbrannten Fliege. Mit gestrecktem Hals, wie ein Torwart bei einer Parade sprang er nach vorn. Der Schlag war entsetzlich, die Erschütterung raubte ihm fast das Bewußtsein. Die Kapselwand schleuderte ihn zurück wie einen aufgeblasenen Autoreifen, er fiel zu Boden. Die Wand zitterte nicht einmal. Keuchend richtet er sich auf, mit blutendem Mund, bereit, sich erneut auf die Wand zu stürzen.
    Er blickte nach unten.
    Der Hebel für begrenzte Steuerung ... Er war für starke Beschleunigung von kurzer Dauer gedacht, in der Größenordnung 10 g, jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Der Hebel arbeitete direkt, auf mechanischem Wege. Bei Schäden gab er einen vorübergehenden Schub.
    Aber damit ließ sich die Beschleunigung nur noch erhöhen – das bedeutete also, daß er noch schneller auf die Mondscheibe zurasen würde ... Nein – im Gegenteil, der Schub würde bremsen! Aber er wäre zu kurz, das Bremsen mußte ununterbrochen verlaufen. Sollte denn die begrenzte Steuerung zu nichts nutze sein?
    Er warf sich auf den Hebel, ergriff ihn ihm Fallen, zerrte daran und hatte ohne den amortisierenden Schutz des Sitzes das Empfinden, als risse es ihm alle Knochen aus dem Leib – so hart schlug er auf den Boden. Noch einmal zog er an dem Hebel – der gleiche furchtbare Ruck! Sein Kopf prallte auf den Boden, und hätte der nicht einen weichen Belag gehabt, er wäre daran zerschmettert.
    Die Sicherung summte, das Flimmern hörte auf, normaler, ruhiger Lampenschein füllte den Steuerraum.
    Der doppelte Stoß der Beschleunigung durch die begrenzte Steuerung hatte das kleine Kohlestückchen, das zwischen den Leitungen steckte, gelöst. Der Kurzschluß war beseitigt. Pirx spürte salzigen Blutgeschmack im Mund. Er schnellte wie ein Taucher vom Sprungbrett nach vorn, aber er landete nicht, wie beabsichtigt, auf seinem Sitz, sondern schoß über die Lehne hinweg und prallte mit fürchterlicher Wucht gegen die Decke.
    Im gleichen Augenblick, als er zum Sprung ansetzte, hatte der bereits tätige Automat des Reduktors die Triebwerke ausgeschaltet. Der Rest der Schwerkraft war verschwunden. Das Raumschiff bewegte sich jetzt nur noch durch den eigenen Schwung wie ein Stein den Felsenruinen des Timocharis entgegen.
    Pirx war von der Decke zurückgeprallt. Der blutige Speichel, den er ausgespien hatte, schwebte neben ihm wie silbrig-rote Bläschen im Raum. Pirx wand sich verzweifelt, streckte die Hände nach der Sessellehne aus, holte den ganzen Tascheninhalt hervor und warf ihn hinter sich.
    Mit diesem Rückstoß glitt er langsam voran, schwebte immer tiefer. Seine Finger, die so ausgestreckt waren, daß die Sehnen zu reißen drohten, schabten mit den Nägeln über das Nickelrohr, krallten sich fest und ließen nicht locker. Er duckte sich, zog den Kopf ein wie ein Akrobat, der auf einem Geländer einen Handstand machen will, erwischte einen Gurt, rutschte daran herunter, wickelte ihn um den Leib, den Karabinerhaken nahm er zwischen die Zähne – er hielt. Nun die Hände auf die Griffe und die Beine auf die Pedale!
    Ein Blick auf den Höhenmesser: achtzehnhundert Kilometer bis zur Mondoberfläche. Würde er es schaffen, rechtzeitig zu bremsen? Ausgeschlossen, bei fünfundvierzig Kilometern pro Sekunde! Er mußte abbiegen –

Weitere Kostenlose Bücher