Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
halbe Stunde vergangen, und sie hatten bereits die nächtliche Halbkugel der Erde mit dem Phosphorgesprenkel der Städte unter sich gelassen. Pirx schaute hinunter, denn obwohl er die Atmosphäre, die von der aufgehenden Sonne mit ihren Strahlen »gegen den Strich gekämmt wurde«, mehr als einmal aus der Raumperspektive gesehen hatte, war er dieses großartigen Schauspiels, jener riesigen glühenden Regenbogensichel, durchaus noch nicht überdrüssig geworden. Nachdem sie ein paar Minuten später den letzten Navigationssatelliten hinter sich gelassen hatten, umtost vom Prasseln und Pfeifen der Signale, von denen die Informationsapparate förmlich überquollen (die »Elektronenbürokratie des Kosmos«, wie Pirx sie nannte), jagten sie über die Ekliptik hinaus. Pirx trug dem ersten Piloten auf, an der Steuerung zu bleiben, und begab sich in seine Kajüte. Es waren noch keine zehn Minuten vergangen, als er es klopfen hörte.
    »Herein!«
    Es war Brown. Er schloß sorgfältig die Tür hinter sich, trat auf Pirx zu, der auf seiner Koje saß, und sagte mit unterdrückter Stimme: »Ich wollte mit Ihnen sprechen.«
    »Bitte sehr. Setzen Sie sich.«
     
    Brown ließ sich auf einem Stuhl nieder, aber er rückte ihn näher heran; der Abstand zwischen ihnen schien ihm noch zu groß zu sein. Er schwieg eine Weile, den Blick gesenkt, schaute Pirx dann plötzlich gerade ins Gesicht und begann: »Ich möchte Ihnen etwas anvertrauen. Aber ich muß Sie um Diskrektion bitten. Um Ihr Versprechen, daß Sie es niemandem weitersagen werden.«
    Pirx hob die Brauen.
    »Ein Geheimnis?« Er überlegte ein paar Sekunden lang. »Einverstanden, ich werde es niemandem sagen«, versprach er schließlich. »Ich höre.«
    »Ich bin ein Mensch«, sagte der andere und stockte, während er Pirx in die Augen sah, als wollte er die Wirkung seiner Worte prüfen. Aber Pirx saß reglos da, die Lider halb geschlossen, den Kopf gegen die mit weißer Schaumplastfolie bespannte Wand gelehnt.
    »Ich verrate Ihnen das, weil ich Ihnen helfen will«, begann der andere wieder, als hätte er sich alles sorgsam zurechtgelegt. »Als ich mich bewarb, wußte ich noch nicht, worum es sich handelte. Solche wie mich gab es sicherlich viele, aber wir wurden einzeln angenommen, damit wir uns nicht kennenlernen, ja nicht einmal sehen konnten. Wofür ich eigentlich vorgesehen war, erfuhr ich erst, als ich definitiv ausgewählt worden war, nach allen Flügen, Versuchen und Tests. Ich mußte mich damals verpflichten, alles für mich zu behalten. Ich habe ein Mädel, wir wollen heiraten, aber wir haben finanzielle Schwierigkeiten – und die Sache kam mir sehr zupasse, weil sie einem sofort achttausend bar auf die Hand gaben. Nach der Rückkehr von diesem Flug soll ich noch mal die gleiche Summe bekommen, unabhängig von dem Ergebnis. Ich sag’s Ihnen, wie’s war, Sie sollen nämlich wissen, daß Sie sich in dieser Sache auf mich verlassen können. Im ersten Augenblick war ich mir, ehrlich gesagt, nicht darüber im klaren, um welchen Einsatz hier gespielt wird. Ein merkwürdiges Experiment, nichts weiter, so dachte ich anfangs. Doch dann gefiel mir die Geschichte immer weniger. Im Grunde ist es ja eine Frage der elementaren Solidarität zwischen den Menschen. Soll ich entgegen ihren Interessen schweigen? Ich kam zu der Überzeugung, daß ich das nicht darf. Sind Sie nicht auch der Ansicht?«
    Pirx antwortete nicht, und so fuhr der andere, allerdings schon etwas kleinlauter, fort: »Ich kenne keinen von den vieren. Wir wurden die ganze Zeit über getrennt gehalten. Jeder hatte sein eigenes Zimmer, sein eigenes Bad, seinen eigenen Gymnastikraum, nicht einmal zu den Mahlzeiten kamen wir miteinander in Berührung, erst direkt vor der Abreise nach Europa durften wir ein paar Tage gemeinsam essen. Deshalb kann ich Ihnen nicht sagen, wer von denen da ein Mensch ist und wer nicht. Ich weiß nichts Bestimmtes. Ich vermute aber ...«
    »Moment mal«, unterbrach ihn Pirx. »Und warum haben Sie mir auf die Frage, ob Sie an Gott glauben, geantwortet, es sei nicht Ihre Pflicht, sich damit zu beschäftigen?«
    Brown setzte sich auf seinem Stuhl zurecht, bewegte den Fuß, blickte auf seine Schuhspitze, mit der er Kreise auf dem Fußboden zog, und erwiderte leise: »Weil ich eigentlich schon damals entschlossen war, Ihnen alles zu beichten, und Sie wissen ja, wie das ist: Die Mütze auf dem Kopf des Diebes brennt. Ich hatte Angst, daß McGuirr etwas von meinem Entschluß merken könnte. Und als

Weitere Kostenlose Bücher