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Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Ja. Jedenfalls danke ich Ihnen, von Ihren Beweggründen ganz abgesehen. Ja, ich danke Ihnen. Würden Sie mir demzufolge ... etwas über sich sagen? Ich meine Dinge, die mir weiterhelfen könnten ...«
    »Ich kann mir denken, worum es Ihnen geht. Über meinen Bau weiß ich nichts, so wie Sie nichts über Ihre Anatomie wissen oder über Ihre Physiologie, zumindest nichts wußten, bevor Sie nicht irgendein Biologiebuch gelesen hatten. Aber der konstruktionelle Aspekt interessiert Sie wohl auch weniger. Es ist Ihnen mehr um den psychischen zu tun? Um unsere – schwachen Seiten?«
    »Darum auch. Aber hören Sie, jeder weiß schließlich irgendwas über seinen Organismus. Das sind keine wissenschaftlich fundierten Kenntnisse, sondern sie stammen aus Erfahrung, aus Selbstbeobachtung ...«
    »Natürlich, man benutzt ja den Organismus und wohnt darin ... Da bietet sich schon Gelegenheit zur Beobachtung ...« Burns lächelte wieder und zeigte dabei regelmäßige, aber doch nicht allzu regelmäßige Zähne.
    »Ich darf Ihnen also Fragen stellen?«
    »Bitte sehr.«
    Pirx versuchte sich zu sammeln. »Dürfen es auch ... indiskrete Fragen sein? Ausgesprochen intime?«
    »Ich habe nichts zu verbergen«, erwiderte der andere schlicht.
    »Ist Ihnen schon einmal eine Reaktion wie Bestürzung, Angst oder Abscheu widerfahren, die dadurch hervorgerufen wurde, daß Sie kein Mensch sind?«
    »Ja. Einmal, während einer Operation, bei der ich assistierte. Der zweite Assistent war eine Frau. Damals wußte ich bereits, was das ist ...«
    »Ich verstehe nicht ganz ...«
    »Damals wußte ich bereits, was eine Frau ist«, erklärte Burns. »Anfangs war mir nichts über die Existenz von Geschlechtern bekannt ...«
    »Ach nein!« Pirx war wütend, daß es ihm nicht gelungen war, diesen Ausruf zu unterdrücken.
    »Also es war eine Frau dabei. Und was passierte?«
    »Der Chirurg schnitt mir mit seinem Skalpell in den Finger, der Gummihandschuh klaffte auf, und es war zu sehen, daß ich nicht blutete.«
    »Wieso? McGuirr hat mir doch gesagt ...«
    »Jetzt würde auch ich bluten, aber damals war ich noch ›trocken‹ – so heißt das im internen Jargon unserer ›Eltern‹«, sagte Burns. »Denn unser Blut ist reine Maskerade: Die Innenseite der Haut ist schwammartig und wird mit Blut getränkt. Diese Prozedur muß ziemlich oft wiederholt werden.«
    »Aha. Und die Frau bemerkte das? Und der Chirurg?«
    »Ach, der wußte, wer ich bin, nur sie nicht. Sie kam nicht gleich darauf, erst gegen Ende der Operation und auch hauptsächlich deshalb, weil er so verlegen war ...« Burns lächelte. »Sie packte meine Hand, zog sie an die Augen, und als sie sah, was ... was innen war, schleuderte sie von sich und stürzte davon. Sie vergaß, nach welcher Seite die Tür des OP aufging, zog daran, und als sie sich nicht öffnen ließ, bekam sie einen hysterischen Anfall.«
    »Ja«, sagte Pirx. Er schluckte. »Was fühlten Sie damals?« »Im allgemeinen fühle ich nicht sonderlich viel, aber das damals war unangenehm«, erwiderte Burns gedehnt und lächelte erneut. »Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen«, fügte er nach einer Sekunde hinzu, »aber ich habe den Eindruck, daß den Männern – selbst solchen, die nicht daran gewöhnt sind – der Umgang mit uns leichter fällt. Männer finden sich mit Tatsachen ab. Frauen wollen sich mit manchen Tatsachen einfach nicht abfinden. Sie sagen weiter ›Nein‹, selbst wenn es nichts anderes mehr gibt als ›Ja‹.« Pirx behielt Burns die ganze Zeit über im Auge, und er musterte ihn besonders aufmerksam, wenn dieser einmal den Blick abwandte, denn er versuchte, eine gewisse Andersartigkeit zu entdecken, die ihn beschwichtigt und ihm bewiesen hätte, daß die Verwandlung einer Maschine in einen Menschen denn doch nicht so vollkommen war. Vorher, als er noch alle verdächtigt hatte, war die Situation eine andere gewesen. Jetzt, da er mit jeder Minute weniger daran zweifelte, daß das, was Burns da sagte, auf Wahrheit beruhte, und er einmal in Burns’ Blässe, die ihm schon bei der ersten Begegnung aufgefallen war, zum anderen in seinen beherrschten Bewegungen und dann wiederum in dem starren Glanz seiner hellen Augen die Fälschung suchte – jetzt mußte er sich eingestehen, daß es schließlich auch Menschen gab, die so blaß oder auch so wenig beweglich waren. Dann quälten ihn abermals Zweifel und diese Beobachtungen und Gedanken wurden vom Lächeln des Arztes kommentiert, das sich nicht immer auf

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