Pilot Pirx
nicht nur, seit ich denken kann, sondern es gab sie als eine lächerliche Welt, diese eure Welt der Städte, Theater, Straßen, des Familienlebens, der Börse, der Liebestragödien und der Filmstars. Möchten Sie meine Lieblingsdefinition des Menschen hören? Ein Wesen, das am liebsten darüber spricht, wovon es am wenigsten versteht. Für die Antike soll die Allgegenwart der Mythologie charakteristisch gewesen sein und für die moderne Zivilisation deren Fehlen? Aber wovon leiten sich denn in Wirklichkeit eure einfachsten Grundbegriffe ab? Die Sündhaftigkeit des Leibes ist die Konsequenz einer alten Evolutionslösung, die aus Sparsamkeitsgründen die Ausscheidungsfunktionen mit den Geschlechtsfunktionen in demselben Organsystem vereinte. Die religiösen und philosophischen Ansichten sind die Konsequenz aus eurer biologischen Struktur, weil dem Menschen zeitliche Grenzen gesetzt sind und er in jeder Generation alles erkennen, alles begreifen, alles erklären möchte. Aus ebendieser Diskrepanz heraus entstand die Metaphysik – als Brücke, die das Mögliche mit dem Unmöglichen verbindet. Und die Wissenschaft? Sie ist vor allen Dingen Verzicht. Gewöhnlich werden ihre Errungenschaften hervorgehoben, doch die stellen sich nur sehr langsam ein, und sie wiegen im übrigen niemals die Riesenverluste auf. Die Wissenschaft ist also die Billigung der Sterblichkeit und der Zufälligkeit des Individuums, das aus dem statistischen Spiel der um den Vorrang der Befruchtung wetteifernden Spermien entsteht. Sie ist die Billigung der Vergänglichkeit, der Unabwendbarkeit, des Fehlens von Vergeltung, höherer Gerechtigkeit, endgültiger Erkenntnis, des endgültigen allseitigen Verstehens – und mithin wäre sie sogar heroisch, wenn sich ihre Schöpfer nicht so oft im unklaren wären, was sie in Wirklichkeit tun! Ich hatte zwischen Furcht und Lächerlichkeit zu wählen, und ich wählte die Lächerlichkeit, weil ich sie mir leisten kann.«
»Sie hassen diejenigen, die Sie geschaffen haben, nicht wahr?« fragte Pirx leise.
»Sie irren. Ich bin der Auffassung, daß jede Existenz, selbst die beschränkteste, besser ist als die Nichtexistenz. Sie, meine Konstrukteure, vermochten sicherlich viele Dinge nicht vorauszusehen, aber mehr noch als für meine Intelligenz bin ich ihnen dafür dankbar, daß sie mir das Lustzentrum verweigerten. Es gibt ein solches Zentrum in eurem Gehirn, wußten Sie das?«
»Ich habe irgendwo darüber gelesen.«
»Ich besitze es offenbar nicht, und deshalb bin ich auch kein Wesen ohne Beine, das nach nichts anderem verlangt, als laufen zu können ... Nur zu laufen, gerade weil es unmöglich ist.«
»Alle anderen sind lächerlich, ja?« warf Pirx ein. »Und Sie?«
»Oh, ich auch. Nur auf andere Art. Jeder von euch hat, sobald er existiert, den Körper, den er hat, und damit basta. Aber ich könnte zum Beispiel wie ein Kühlschrank aussehen.«
»Ich kann daran nichts Lächerliches finden«, brummte Pirx. Das Gespräch bedrückte ihn mehr und mehr.
»Es geht um die Konventionalität, um die Zufälligkeit«, wiederholte Burns. »Die Wissenschaft ist der Verzicht auf verschiedene Absoluta: auf den absoluten Raum, die absolute Zeit, die absolute, das heißt ewigwährende Seele, den absoluten, weil gottgeschaffenen Leib. Von solchen Konventionen, die ihr für reale, weil von allem unabhängige Dinge haltet, gibt es noch mehr.«
»Und was ist noch Konvention? Die Prinzipien der Ethik? Die Liebe? Die Freundschaft?«
»Gefühle sind niemals konventionell, obwohl sie die Folge von vereinbarten konventionellen Vorbedingungen sein können. Aber ich rede wirklich nur deshalb so über euch, weil es mir in dieser Gegenüberstellung leichter fällt zu erklären, wer ich selbst bin. Die Ethik ist ganz sicher konventionell, zumindest für mich. Ich brauche nicht ethisch zu handeln, und dennoch tue ich es.«
»Interessant. Und warum?«
»Ich habe keinen sogenannten Instinkt des Guten. Ich bin nicht fähig, Mitleid sozusagen ›von Natur aus‹ zu empfinden. Aber ich weiß, wann man Barmherzigkeit üben muß, und ich bin imstande, mich einzufühlen. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß es nötig ist. Mithin habe ich diese Lücke gewissermaßen durch logische Überlegung geschlossen. Sie können nun sagen, ich hätte eine ›Ersatzethik‹, ich hätte mir eine so täuschend ähnliche Prothese davon angefertigt, daß sie wie ›echt‹ wirkt.«
»Ich verstehe nicht ganz. Worin liegt also der Unterschied?«
»Darin, daß
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