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Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Meldung hoch.
    »Aber ...! Welche Verzögerung haben wir jetzt?« fragte jemand.
    »Acht Minuten.«
    »Wie stellen die sich das vor? Wir werden eine Ewigkeit auf jede Antwort warten«, protestierten einige.
    Hoyster zuckte die Schultern. »Wir müssen uns fügen. Sicher wird es umständlich sein. Wir werden ein entsprechendes Verfahren erarbeiten ...«
    »Die Beratungen werden auf morgen vertagt?« fragte Romani.
    »Ja. Wir treffen uns um sechs Uhr morgens. Dann liegen schon die Registrierstreifen aus der Steuerkabine vor.«
    Romani hatte Pirx ein Nachtlager bei sich angeboten, und er war froh darüber. Er zog es vor, Seyn aus dem Wege zu gehen. Zwar verstand er sein Verhalten, doch er billigte es nicht. Die Leute von der Syrte wurden notdürftig untergebracht, und um Mitternacht war Pirx allein in dem kleinen Raum, der dem Chef als Handbibliothek und privates Arbeitszimmer diente. Er legte sich angezogen auf das zwischen Theodoliten stehende Feldbett, verschränkte die Hände unter dem Kopf und starrte an die niedrige Decke, fast ohne zu atmen.
    Seltsam, mitten unter diesen fremden Menschen hatte er die Katastrophe als Außenstehender miterlebt, als einer von vielen Zeugen, nicht ganz beteiligt, selbst dann nicht, als er Feindseligkeit und Animosität hinter den Fragen spürte und den in der Luft hängenden Vorwurf der Einmischung in die Angelegenheiten der hiesigen Spezialisten, selbst dann nicht, als Seyn sich gegen ihn stellte. Es berührte ihn nicht, bewegte sich in den natürlichen Bahnen des Unvermeidlichen, wie es unter solchen Umständen nicht anders sein konnte. Er war bereit, für das geradezustehen, was er getan hatte, aber unter vernünftigen Voraussetzungen, schließlich war er nicht für das Unglück verantwortlich. Er war erschüttert, bewahrte jedoch Ruhe, blieb konsequent der Beobachter, der den Vorfällen nicht ausgeliefert war, denn diese Vorfälle hatten System – bei all ihrer Unbegreiflichkeit konnte man sie analysieren, Stück für Stück, nach der Methode, die der offizielle Verlauf der Beratungen vorgezeichnet hatte. Jetzt zerrann ihm all das unter den Fingern. Er dachte nichts, er rief sich keine Bilder ins Gedächtnis zurück – sie wiederholten sich von selbst, von Anfang an: die Fernsehschirme, darauf der Eintritt des Raumschiffs in die Marsatmosphäre, das Abbremsen der kosmischen Geschwindigkeit, der Wechsel der Schubkräfte. Er kam sich vor, als sei er überall zugleich gewesen, im Kontrollraum und in der Steuerkabine, er kannte diese dumpfen Stöße, dieses Dröhnen, das über Kiel und Spanten lief, wenn die gedrosselte Atomenergie von der vibrierenden Arbeit der Borane abgelöst wurde, den Baßton, mit dem die Turbopumpen kundtaten, daß sie den Brennstoff komprimierten, den Rückschub, das majestätisch langsame Niedergleiten mit dem Heck voraus, die kleinen Seitenkorrekturen und diese Erschütterung, diesen Donner beim plötzlichen Wechsel der Schübe, wenn wieder volle Kraft in die Düsen schoß. Die Vibration, der Verlust der Stabilität, der verzweifelte Versuch, die Rakete abzufangen, die zu pendeln und zu schwanken begann wie ein betrunkener Turm, ehe sie kraftlos, tot, steuerlos absackte, blind wie ein Stein. Dann der Aufprall, die Zerstörung – und er war überall dabei. Er kam sich vor wie das kämpfende Raumschiff, und während er sich schmerzlich der völligen Unzulänglichkeit, der restlosen Verschlossenheit des Geschehenen bewußt wurde, kehrte er zugleich zu den letzten Sekundenbruchteilen zurück, mit der stummen, sich ständig wiederholenden Frage nach der Ursache. Ob Klyne versucht hatte, die Steuerung zu übernehmen, war jetzt schon unwichtig. Im Grunde traf die Kontrolle kein Vorwurf, obwohl sie da ihre Witze gerissen hatten, aber daran konnte sich nur jemand stoßen, der abergläubisch beziehungsweise in Zeiten groß geworden war, da man sich Schnurzigkeit nicht leisten durfte. Sein Verstand sagte ihm, daß daran nichts Unrechtes war. Er lag auf dem Rücken, aber ihm war, als stünde er an dem schrägen Fenster, das auf den Zenit wies, als der grünfunkelnde Stern der Borane von dem schrecklich sonnengrellen Blitz verschlungen wurde, dieser für die Kernenergie so charakteristischen Pulsion in den Düsen, die schon erkalteten, wodurch es eben nicht möglich war, das ganze Manöver war so gewaltsam durchzuführen – die Rakete begann zuerst zu schaukeln wie der Schwengel einer von wahnsinnigen Händen in Schwung versetzten Glocke und kippte dann mit ihrer,

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