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Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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wechselten nur ein paar Worte, denn der Start mußte unter schwierigen Bedingungen erfolgen – die Rakete hatte kein Lot, ihre Stützen waren tief in das Geröll gedrungen und wirkten dadurch wie mit Ballast beschwerte Anker. Sie beobachteten den Start, nachdem sie den stählernen Fensterladen beiseite geschoben hatten. Anfangs war nichts zu sehen, denn die Rippen des Hauptkammes verdeckten den Standort der Rakete, aber dann durchbohrte eine feurige Linie die dichte, gestaltlose Dunkelheit, umgeben von einem rostroten Schein – die Staubwolke, die zwischen dem Gestein des Lawinengeländes aufgewirbelt worden war, reflektierte das Licht des Düsenstrahls. Der feurige Schweif stieg höher und höher. Die Rakete selbst war nicht zu sehen, lediglich diese flammende Sehne. Sie wurde immer dünner, vibrierte und zerfiel in Streifen. Es war der normale Pulsschlag eines Triebwerkes, das mit voller Kraft arbeitete. Sie reckten die Köpfe gen Himmel und sahen das feurige Gleis, das zwischen den Sternen ruhte. Wenige Augenblicke später neigte sich die Spur und verschwand in elegantem Bogen hinter dem Horizont.
    Sie waren allein. Es war dunkel. Sie hatten absichtlich alle Lichter gelöscht, um den Start besser beobachten zu können. Langner lächelte fein und trat gebeugt an den Tisch, auf dem sein Rucksack lag. Er entnahm ihm Bücher, eins nach dem anderen. Pirx, an der konkaven Wand lehnend, stand breitbeinig da wie an Deck eines Raumschiffes. Er trug alles in sich: die kühlen Kasematten von Luna-Hauptstation, die engen Flure des Hotels, die Aufzüge, die Touristen, die bis an die Decke sprangen und Pumexstückchen austauschten ... Dann den Flug zur Ziolkowski-Station, die hochgewachsenen Gastgeber, das silberne Netz des Radioteleskops zwischen Kamm und schwarzem Himmel, Pnins Erzählung, den zweiten Flug und diesen unheimlichen Weg durch eiskalte und glühende Felsen ... Er konnte es gar nicht fassen, daß er all das in den wenigen Stunden erlebt hatte. Die Zeit war zum Riesen geworden, sie hatte die Bilder erfaßt und verschlungen, und nun kehrten sie wieder und versuchten, sich gegenseitig den Rang streitig zu machen. Pirx schloß die schmerzenden, trockenen Lider.
    Langner ordnete die Bücher auf dem Regal, und Pirx verstand ihn nun besser. Seine ruhigen Bewegungen resultierten nicht aus Stumpfsinn oder Gleichgültigkeit, und diese tote Welt erdrückte ihn nicht – sie diente ihm. Er war hergekommen, weil er es so gewollt hatte. Er kannte kein Heimweh, denn sein Zuhause waren Spektrogramme, Ergebnisse von Berechnungen und die Orte, an denen sie entstanden. Er war überall zu Hause, wo er seinen Wissensdurst befriedigen konnte; er wußte, weshalb er lebte. Pirx hätte es nie gewagt, diesem nüchternen Menschen zu erzählen, daß er von romantischen Heldentaten träumte. Langner würde ihn anhören, ohne zu lächeln, und würde ohne Kommentar zu seiner Arbeit zurückkehren. Pirx beneidete ihn um diese Sicherheit, um dieses Selbstvertrauen, aber er spürte zugleich seine Fremdheit. Sie hatten sich nichts zu sagen, aber sie mußten gemeinsam diese beginnende Nacht durchstehen. Und auch den Tag danach, und dann noch eine Nacht ... Er ließ seine Augen durch die Kabine schweifen, als sähe er sie zum erstenmal. Konkave Wände mit Plastbeschlägen ... Ein hermetisch verschlossenes Fenster ... Deckenleuchten ... Ein paar farbige Reproduktionen zwischen den Regalen mit Fachliteratur und ein schmales, eingerahmtes Schild, auf dem die Namen all derer eingetragen waren, die vor ihnen in diesem Raum weilten. In den Ecken leere Sauerstoffflaschen, Konservenkisten, gefüllt mit Bruchstücken farbiger Mineralien, leichte Metallstühle mit Nylonsitzen ... Ein kleiner Tisch mit einer Lampe ... Durch die halb geöffnete Tür sah man die Apparatur der Funkstation.
    Langner schuf Ordnung im Schrank, der voll von fotografischen Klischees war. Pirx trat hinaus. Von dem kleinen Gang ging es links zur Küche, geradeaus zur Kammer am Ausgang, und rechts lagen zwei winzige Zimmer. Pirx betrat das seine. Es enthielt ein Bett, einen Klappstuhl, ein Schreibpult, das man in die Wand schieben konnte, und ein kleines Regal. Die Decke war schräg wie in einer Mansarde und halbkugelig – entsprechend der Biegung der äußeren Panzerung.
    Pirx kehrte in den Flur zurück. Die Tür der Druckkammer hatte abgerundete Ecken, die Ränder waren mit hermetisch abdichtendem Plast eingefaßt. Er sah ein Speichenrad und eine kleine Lampe, die aufleuchtete, wenn

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