Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
bemerkte, daß die Kugeln an den Spitzen der Aluminiummaste ein starkes rotes Licht ausstrahlten; die Perlenreihe dieser Rubinkette führte in die Höhe und verschwand in der Sonne. Oben ragte ein geborstener Felsbuckel auf, drei tiefe Schluchten führten zur Ebene, getrennt durch schmale senkrechte Wände, die scharfen Gesimsen ähnelten. Das Ganze glich einem riesigen Regal mit Fächern. Pirx hatte den Eindruck, daß die Reihe der Maste in einem dieser Fächer endete, aber er wußte, daß dieser Eindruck täuschte. Ganz oben sah man den zerklüfteten Hauptwall der Mendelejew-Station und einen breiten Sonnenstrahl, der wie eine gleißende Säule senkrecht in die Tiefe führte. Eine lautlose Explosion schien glühendes Weiß auf die Felsentürme verspritzt zu haben.
    »Dort ist die Station«, hörte er in der Haube Pnins nahe Stimme. Der Wissenschaftler war an der Grenze zwischen Nacht und Tag, zwischen Frost und Hitze stehengeblieben und deutete nach oben. Pirx blickte auf, aber außer den Felsen, die auch in der Sonne schwarz wirkten, konnte er nichts erkennen.
    »Sehen Sie den Adler? So haben wir diesen Buckel getauft. Das ist der Kopf, dort sehen Sie den Schnabel und dort die Flügel!«
    Pirx unterschied im ersten Moment nur eine Anhäufung von Licht und Schatten, weiter nichts. Über dem östlichen Kamm ragte eine gekrümmte Zinne auf; sie schien ganz nahe zu sein, weil ihre Umrisse nicht vom Nebel verwaschen waren. Dann aber erblickte er den Adler. Die Wand, der sie zustrebten, war der Flügel, darüber – vor dem Hintergrund der Sterne – erhob sich der Kopf, und die Zinne war der Schnabel.
    Pirx sah auf die Uhr. Sie waren bereits vierzig Minuten unterwegs. Vor der nächsten Schattenzone blieb Dr. Pnin stehen, um seinen Klimatisator zu verstellen. Pirx nutzte die Gelegenheit und fragte seinen Gefährten, wohin der Weg führe.
    »Dorthin!« Pnin wies mit der Hand nach unten.
    Pirx sah nur die Steinwüste, in ihrer Mitte erkannte er einen aufgeschütteten Kegel, aus dem große Felsbrocken herausragten.
    »Dort ist die Platte abgerissen«, erläuterte Pnin. Dann deutete er auf eine Vertiefung im Kamm. »Das ist das Sonnentor. Unsere Seismographen in der Ziolkowski-Station haben die Erschütterung registriert; nach unseren Schätzungen ist etwa eine halbe Million Tonnen Basalt abgestürzt ...«
    »Moment mal ...«, sagte Pirx wie im Rausch. »Und wie transportiert man jetzt die Vorräte nach oben?«
    »Sie werden es selbst sehen, wenn wir oben sind«, sagte Dr. Pnin und ging weiter.
    Pirx folgte ihm. Er zerbrach sich den Kopf, aber es gelang ihm nicht, das Rätsel zu lösen. Transportieren sie etwa jeden Eimer Wasser und jede Flasche Sauerstoff auf dem Rücken? dachte er. Unmöglich!
    Sie schritten nun rascher aus. Die letzte Aluminiumstange steckte am Abgrund. Dunkelheit hüllte sie ein. Sie schalteten die Stirnreflektoren ein, ihr Schein hüpfte wie ein Irrlicht von Wandbuckel zu Wandbuckel. Das Gesims, das sie überquerten, war stellenweise nur zwei Handflächen breit, aber hin und wieder hatte es Ausbuchtungen, auf denen man die Beine weit auseinander stellen konnte. Sie gingen wie auf einem Seil über dieses »Regal«; es war leicht gewellt, aber verhältnismäßig eben, und die rauhe Oberfläche bot einen guten Halt. Dennoch genügte ein einziger falscher Tritt, ein Stolpern ...
    Weshalb sind wir nicht angeseilt? fragte sich Pirx. Im gleichen Augenblick erstarrte der Lichtfleck vor ihm. Pnin war stehengeblieben.
    »Die Leine!«, sagte er.
    Er reichte Pirx das Ende. Der zog das Seil durch die Karabinerhaken seines Gurtes und warf es dann Langner zu. Pirx lehnte sich an einen Felsen und sah sich um.
    Das ganze Innere des Kraters lag vor ihm. Die schwarzen Lavahohlwege waren zu einem Netz zusammengeschrumpft. Der untersetzte Kegel in der Mitte warf einen langen Schattenstreifen.
    Wo war die Rakete? Er konnte sie nicht finden. Wo war der Weg? Auch die Kurven, gekennzeichnet durch die Reihen der Aluminiummaste, waren verschwunden. Nur der große Felsenzirkus war zu sehen; er lag im blendenden Schein. Schwärzliche Streifen zogen sich von Steinhalde zu Steinhalde, helles Felsenmehl unterstrich die Zeichnung des Geländes mit den grotesken Poren der kleineren Krater – allein im Bereich der Mendeleje⁠w-Wälle waren es Hunderte. Die größten unter ihnen hatten einen Durchmesser von einem halben Kilometer, die kleinsten waren kaum zu erkennen. Jeder war vollkommen rund und besaß einen Ring, der einen sanft

Weitere Kostenlose Bücher