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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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beieinander liegen, daß sie sich beschatten, haben alle ein Fenster, von dem aus man ein Stück Meer sehen kann. Nur Onkel Hjalmar – also mein Onkel, nicht deiner –, der braucht keins.«
    »Er ist kein Fischer?« fragte ich.
    »Er war Fischer, bevor er pensioniert wurde. Aber Ruth, mit der er verheiratet ist, die kann das Wetter träumen, er brauchte also nie aufs Meer zu schauen. Und die Wettervorhersage hat er nie gehört.«
    »Das Wetter träumen. Phantastisch.«
    »Das vererbt sich mütterlicherseits. Ihre Mutter war genauso.«
    »Hast du es auch geerbt?«
    »Ich?« Mutter lachte. »Ich bin mit Hjalmar verwandt, nicht mit Ruth.«
    Sie machte eine Pause und schien nachzudenken.
    »Auf jeden Fall nicht nah verwandt.«
     
    In den folgenden Tagen traf ich ständig neue Verwandte. Ich konnte mich kaum fünfzig Meter über die Insel bewegen, ohne daß jemand rief: »Hallo. Bist du nicht Gerds Junge? Ich bin mit dir verwandt.«
    Man umarmte mich, schlug mir auf die Schulter und lud mich ein. Mir wurde klar, daß ich in ihre Welt gekommen war wie ein geheimnisvolles Wesen, über das man viel geredet hatte, das aber keiner kannte. Gerds Junge. Irgendwo tief im Wald gefangengehalten. Aber eines Tages wird er hierher zurückkommen. Und da war ich jetzt, mit meinen abstehenden Einarssonohren, meinen meerblauen Augen und den hellen Wimpern.
    Ich war überrascht, daß alle diese Verwandten auf einer einzigen Insel Platz hatten. In vielen Adern schien das gleiche Blut zu fließen, hier waren irgendwie alle miteinander verwandt. Ich dankte Gott, daß er Mutter den treulosen Seemann geschickt hatte, so gelangte wenigstens ein bißchen frisches Blut in meine Adern.
    Meine Großeltern lernte ich jedoch nicht mehr kennen. Meine Mutter war die Jüngste in einer großen Geschwisterschar, und ihre Eltern waren beide schon gestorben.
     
    Eines Morgens durfte ich mit Tommy und Onkel Börje zum Fischen fahren. Es schaukelte ziemlich, Tommy hatte mich auf das, was kam, vorbereitet.
    »Beug dich über die Reling, wenn dir schlecht wird«, sagte er.
    Aber merkwürdigerweise kam es nicht dazu, ich wurde überhaupt nicht seekrank. Eine Landkrabbe wie ich! Tommy und Börje waren beeindruckt.
    Ich erzählte es Mutter, als ich nach Hause kam. Sie war nicht erstaunt.
    »Du bist doch keine Landkrabbe«, sagte sie. »Du hast einen Seemann zum Vater und ein Fischermädchen zur Mutter. Du bist ganz und gar Meer, mein Sohn.«
    Als ich alleine war, kostete ich die Wörter:
    Ganz und gar Meer.

24
    Zwei Wochen waren vergangen, seit ich auf die Insel gekommen war. Ich saß auf dem Bootssteg und las in einer alten Ausgabe von »Das Beste«. Ich hatte mir einen Packen aus dem Wald mitgenommen.
    Ein Mädchen in einem Bikini schöpfte ein Boot aus, ich hörte, wie das Schöpfgefäß über den Boden des Boots gezogen und das Wasser über die Reling geschüttet wurde. Schrapp, schwisch, schrapp, schwisch. Hin und wieder schaute ich hoch und sah die Wasserkaskaden im Sonnenschein glitzern.
    Es war ein hübsches Mädchen, aber ich war nicht interessiert. Frauen waren nichts für mich. Außerdem war ich vermutlich mit ihr verwandt.
    Ich vertiefte mich in »Erweitern Sie Ihren Wortschatz«.
    »Aber so was! Hallo Gunnar!« rief das Mädchen plötzlich und winkte mit dem Schöpfgefäß.
    Ich schaute von meiner Zeitschrift hoch und winkte höflich zurück.
    Also noch eine Cousine.
    Das Mädchen zog das Boot herein, sprang an Land, und im nächsten Moment saß sie neben mir auf der Bank.
    »Erkennst du mich nicht?« fragte sie.
    Ich schob die Sonnenbrille hoch, und ich mußte eine ganze Weile schauen, bis ich erkannte, daß es Agneta Bengtsson war.
    Sie sah überhaupt nicht mehr aus wie ein Birkenpilz. Sie war braungebrannt, und die Sonne hatte ihre Haare goldblond gebleicht.
    Und ihr Körper! Ich hatte bisher nicht gesehen, daß Agneta Bengtsson einen Körper hatte. Aber das hatte sie. Weiß Gott.
    »Ich besuche hier meine Mutter«, sagte ich, »und was machst du hier?«
    Sie erzählte, daß ihre Eltern auf der Insel ein Häuschen gemietet hatten. Hatten sie eine Verbindung hierher? (Einen Moment hatte ich die Vorstellung, daß auch Agneta Bengtsson zu meiner Familie gehörte.)
    Aber nein, überhaupt nicht. Sie hatten eine Anzeige in der Zeitung gelesen.
    »Du schaust mich so merkwürdig an, Gunnar«, sagte sie.
    »Entschuldige. Ich bin nur so konsterniert«, murmelte ich.
    »Du bist was?«
    »Konsterniert. Verblüfft. Ich dachte, du gehörst vielleicht zu

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