Pilze für Madeleine
hatte höflich »gut« geantwortet, aber jetzt wollte ich ihr ausführlicher antworten.
Ich erzählte ihr also, wie es mir ging und wie es mir in den letzten Jahren ergangen war. Ich erzählte ihr von Vater und Madeleine und der Geschichte mit dem Höhlenpilz. Ich wollte eigentlich nicht alles erzählen, aber dann tat ich es doch. Da oben ging es so einfach. Der Wind nahm die Worte mit, und was schwer zu denken war, wurde plötzlich schwerelos und völlig klar.
Mutter hörte zu und nickte ab und zu.
»Ich hasse ihn«, flüsterte ich. »Wie konnte er mir das nur antun? Mein eigener Vater!«
»Hm«, sagte Mutter, »ich muß dir etwas erzählen.«
»Was denn?«
»Er ist nicht dein Vater.«
»Machst du Scherze mit mir?«
Sie schüttelte langsam den Kopf. Der Felsen unter mir wankte.
»Und wer ist mein Vater?«
»Ein Seemann. Ich habe vergessen, wie er hieß. Egon, Emil, Elof. Irgendwas mit E. Ich habe ihn beim Tanzen kennengelernt. Auf dem Arm hatte er eine Taube mit einer Rose im Schnabel. Eine Tätowierung. Er tanzte furchtbar schlecht. Nicht nur, daß er mir auf die Zehen trampelte, er trat mir auch ans Schienbein, und ich hatte eine Laufmasche in meinem Strumpf. Ich konnte schließlich nicht in löchrigen Strümpfen tanzen, wir gingen also in mein Zimmer in Kungshöjd. Am nächsten Morgen war er weg, und ich habe ihn nie wieder gesehen. Kannst du gut tanzen, Gunnar?«
»Nein.«
»Das hätte ich mir denken können.«
»Weißt du nicht mehr über ihn?«
»Er schien ein richtiger Abenteurer zu sein. Er hat Krokodile in Neu-Guinea gejagt. Oder war es Guyana? Wenn ich gewußt hätte, daß er dein Vater werden würde, hätte ich besser zugehört.«
»Wo ist er jetzt?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hat er sich in einem fremden Land niedergelassen und dort eine Familie gegründet. Vielleicht ist er von einem Krokodil gefressen worden. Ich weiß es nicht. Er weiß jedenfalls nicht, daß er dein Vater ist. Er hatte mir keine Adresse gegeben, an die ich hätte schreiben können.«
Ich schluckte. Das war zu viel für mich.
»Und wie kam dann Vater in die Geschichte? Ich meine ihn, den ich bisher für meinen Vater gehalten habe.«
Mutter ließ meine Hand los, sie nahm die flatternde Schürze und klemmte sie zwischen den Kniekehlen fest.
»Ich habe mit meiner Freundin im Herbst an einem seiner Pilzkurse teilgenommen. Und im Frühjahr darauf kamen wir zur Morchelsuche wieder.«
»Ja, das hat er erzählt. Und daß er um deine Hand angehalten hat.«
Mutter lächelte.
»Ich war nicht schwanger von Holger. Bei diesem Kurs im Herbst hat er meine Freundin verführt. Er muß uns verwechselt haben. Das passierte ihm oft. Als er meinen Bauch sah, fühlte er sich schuldig. Ich glaube, er hat überhaupt nicht daran gedacht, daß es noch andere Männer auf der Welt gibt. Er war es so gewohnt, der Hahn im Korb zu sein.«
Ich starrte meine Mutter an.
»Er glaubte, er sei der Vater deines Kindes, und du hast ihn in diesem Glauben gelassen?« rief ich aus.
Mutter zuckte mit den Schultern.
»Er hat mich nie gefragt, ich habe also nicht gelogen. Er fragte nur, ob ich schwanger sei, und ich sagte ja. Dann sagte er: ›Das ist ja wunderbar!‹, nahm seine Militärmütze ab, fiel im Moos auf die Knie und hielt um meine Hand an. Und ich sagte wieder ja. Warum hätte ich es nicht tun sollen? Es waren noch knapp zwei Monate bis zur Geburt, der Seemann war verschwunden, die Aussicht, meine Arbeit zu kündigen und mit einem unehelichen Kind zu meinen Eltern zurückzukehren, war nicht gerade verlockend. Und dann, ja, du weißt es selbst. Es war keine ideale Voraussetzung für eine Ehe. Wir kannten uns nicht. Wir waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht, und wir waren beide dickköpfig.«
Ein Regenschauer, dünn und leicht wie ein Schleier, kam vom Meer herauf und flog vorbei, kaum daß wir ihn bemerkten.
»Und warum hat er nach der Scheidung das Sorgerecht für mich bekommen?« fragte ich. »Warum nicht du?«
»Du durftest es selbst entscheiden, Gunnar, weißt du das nicht mehr? Du hast dich für Vater entschieden.«
»Ich war sechs, ich wußte es nicht besser. Und ich wußte nicht, daß er nicht mein Vater war.«
»Er war dein Vater, wenn auch nicht dein leiblicher. Und du hast ihn geliebt, und er hat dich geliebt. Du bist so gern mit ihm in den Wald gegangen, daran erinnerst du dich doch? Du hast ihn bewundert. Du wolltest alles über Pilze wissen, genau wie er. Wie hätte ich euch trennen können?«
»Aber hast du dich
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