Pinien sind stumme Zeugen
daß sich der Passagier noch nicht angegurtet hat.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?« fragt sie und beugt sich über ihn.
Der Passagier lächelt und holt mit geübter Hand das Versäumte nach. »Jederzeit«, sagt er dann anzüglich, »aber nicht beim Anschnallen.«
Die himmelblaue Helferin erfaßt die Zweideutigkeit, wirkt aber keine Spur verlegen. Sie zeigt auch nicht das gefrorene Allerweltslächeln, mit dem sie laut Dienstvorschrift zumindest alle First-Class-Passagiere zu beglücken hat. Entweder ist sie abgehärtet, oder sie hat Sympathie für ihn. Steel ist sich da ganz sicher; bei Frauen ist er kein heuriger Hase. Er gehört zu den Privilegierten seines Geschlechts, die weniger Mühe haben, ihre Gespielinnen in das gastliche Bett zu bekommen, als sie hinterher wieder loszuwerden. Als Captain hat er im Nachkriegsdeutschland gelebt wie Gott in Frankreich. Einer seiner Chefs hatte ihn einmal als Stationsvorsteher eines Verladebahnhofs bezeichnet: Jedenfalls waren seine Züge immer pünktlich abgefahren.
Er lehnt sich zurück, starrt auf die Piste. Vielleicht ist er auch nur zu sehr von seiner Besatzungszeit in Germany verwöhnt. Er war das letzte Mal vor eineinhalb Jahren in den Staaten gewesen und hatte bei der ›Hallo-Fräulein-Masche‹ gewaltig zurückstecken müssen. Die Prüderie ist drüben so verbreitet wie Coca-Cola oder Cornflakes. Selbst Filme, die das lasterhafte Hollywood produziert, zeigen nie zwei Unverheiratete in einem Bett. Die Moral der Heuchler zwingt ein riesiges Land zu Ersatzbefriedigung oder Duckmäuserei.
Die Viermotorige jagt über die Startbahn, hebt ab, bohrt ihre Schnauze zielstrebig nach oben, geht mit mächtigem Gedröhn auf Kurs. Über London hängt der Schlechtwetterdunst wie eine Glocke; doch in 1.200 Meter Höhe durchstößt die ›Super Constellation‹ die Waschküche. Wie in einem Zaubertrick wölbt sich ringsum der blaue Himmel wie ein riesiges Zelt. Fast gleichzeitig verkündet der Flugkapitän über Bordlautsprecher: »Ladies und Gentlemen, ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß die Schönwetterbrücke voraussichtlich bis New York anhält.«
Kurz vor dem Bord-Lunch bietet die Stewardess Erfrischungen an: »What would you like, Mr. Steel?« fragt sie den Passagier mit den provokanten Augen. »Coke, Tea, Orange-Juice?«
Er schüttelt wie entsetzt den Kopf. »Two Bourbons, please«, ordert er an. »Einen für Sie und einen für mich.«
»Das ist leider nicht möglich«, entgegnet sie höflich. »Sie wissen doch, daß ich im Dienst nichts trinken darf.«
»Und was dürfen Sie nach Dienst?«
»Ausschlafen«, versetzt die Bordfee. »Zwei Tage lang.«
»In Boston?«
»Nein, in New York.«
»Bei einer so hübschen Neuengländerin eine schiere Zeitverschwendung«, fährt der Passagier etwas plump fort. »Würde eine Nacht für den Schönheitsschlaf nicht auch genügen?«
»Vielleicht«, erwidert Miß Copperfield, »aber ich bin am Ziel der Reise immer ziemlich erschöpft.«
»Ich werde eine ganze Woche in New York bleiben«, erklärt der Passagier. »Sähen Sie eine Chance, daß wir uns an Ihrem zweiten freien Tag treffen?«
»Sorry«, entgegnet die Stewardess. »Ich will meinen Job nicht verlieren; auf Verabredungen mit Passagieren steht fristlose Entlassung.«
»Bringen Sie mir bitte trotzdem zwei Drinks«, beendet er das Smalltalk.
Der Ex-Captain ist über die Abfuhr nicht verärgert; für ihn ist sie auch nicht endgültig. Bis New York hat er noch viel Zeit zur Fortsetzung seines Flirts. Das First-Class-Abteil im vorderen Teil der ›Super Constellation‹ ist nur mäßig besetzt, so daß fast alle Fluggäste einen Fensterplatz haben. Gelegentlich kommen Gespräche auf und versanden bald wieder. Erst jetzt begegnet der Heimkehrer dem Blick einer adretten Mitreisenden, von der er bisher nur die dunklen Haare gesehen hatte.
Sie sitzt in der gleichen Reihe auf der anderen Seite.
Auch ihr Lächeln deutet der Mittdreißiger richtig.
»Lachen Sie mich aus?« fragt er spontan.
»Ich lächle Sie an«, erwidert sie. »Ihre Annäherungsversuche bei unserer hübschen Stewardess sind auf einem langweiligen Flug von geradezu unschätzbarem Unterhaltungswert.«
»Freut mich für Sie«, erwidert er in gekonnter Selbstironie. »Sie meinen, ich rutsche dabei aus?«
»Ich fürchte es.«
»Sie genießen es«, stellte er klar.
»Das auch«, bestätigt die Schwarzhaarige mit dem Madonnenscheitel und den rehbraunen Augen in dem sündteuren Pariser
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