Piratenbraut
sich das Ergebnis. »Das war schon mal effizienter, wisst ihr, ja?«, mault Bundesvorstand Klaus Peukert auf Twitter.
Als ich am Abend die Halle verlasse, sind vier von 111 Anträgen beschlossen. Der fünfte beschlossene Antrag ist nach einer weiteren Auszählung gekippt worden.
Ich muss an das vergangene Frühjahr denken. Als die Piraten sich im April in Neumünster zum Parteitag trafen, saß ich daheim vor dem Fernseher mit dem Gefühl, womöglich eine bedeutende politische Entwicklung zu verpassen. Die Aussicht, mich direkt und ganz persönlich, ohne lange Ochsentour in einer jungen, unkonventionellen Partei einbringen zu können, erschien mir einfach nur verlockend. Das würde ich jetzt nicht mehr behaupten. Meine Partei soll auf diesem Weg zu einem anspruchsvollen, pointierten Wahlprogramm kommen? Mir erscheint das fast ausgeschlossen.
Am nächsten Morgen eröffnet Johannes Ponader den Parteitag. Erstaunlich, der Politische Geschäftsführer der Piraten verbreitet gute Nachrichten. »Wir haben wieder Profil gezeigt«, ruft er, »wir haben gezeigt, dass wir keine neue FDP sind, nicht die Grünen 2.0 und auch keine Linkspartei mit Internetanschluss.« Bei den Piraten, versichert Ponader, gebe es keine »Pseudodemokratie«, Prozesse würden so basisdemokratisch gestaltet, »dass am Ende jedes Mitglied hinter den Ergebnissen stehen« könne. Und wenn die Programmarbeit gestern manchmal etwas länger gedauert habe, sei das völlig in Ordnung, tröstet uns der Geschäftsführer: »Es zählt die Qualität und nicht die Quantität.«
Ponader, wegen seines schrulligen Lebenskünstlertums in der Partei umstritten, empfängt uns heute also mit einer klassischen Politikerrede. Während ich noch staune, geht es im Internet bereits zur Sache. »Jetzt redet Johannes Ponader den gestrigen Tag schön«, twittert der Berliner Fraktionschef Christopher Lauer und zitiert die Erich-Honecker-Parole »Vorwärts immer, rückwärts nimmer!«.
Nicht auszudenken, was los wäre, wenn Delegierte beim CDU -Bundesparteitag ihre Parteispitze öffentlich derart respektlos angehen würden. Der Politische Geschäftsführer meiner Partei hingegen versichert derweil am Rednerpult: »Bei uns gewinnt nicht der, der am lautesten schreit oder der am heftigsten beleidigt, sondern hier bei uns gewinnt das bessere Argument. Bei uns gibt es keine Diktatur des Shitstorms, sondern bei uns gibt es demokratische Mehrheiten.«
Was für ein groteskes Szenario. Ponader versucht, uns auf den fairen Meinungsstreit einzuschwören. Doch noch während er spricht, ätzen die eigenen Leute auf Twitter gegen ihn: »Kann der Herr Ponader mal seine rosarote Flauschbrille abnehmen?« »Alle Lebenslügen der Piratenpartei in einer Rede. Chapeau Johannes Ponader.« »Der Johannes Ponader macht gerade Bullshit-Bingo.« Soll ich mich an solche Szenen gewöhnen? Eigentlich finde ich diese Diskussions-»Kultur« peinlich und ekelhaft.
Außerdem fällt es mir persönlich schwer, nach den ersten Programmbeschlüssen ein klareres Profil meiner Partei zu erkennen. Ich sehe keine Idee, die ein Markenzeichen der Piraten werden könnte. In den neuen Wirtschaftskapiteln zum Beispiel stehen Sätze wie: »Die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialordnung soll allen Menschen und der Gemeinschaft dienen.« Oder: »Das Leitbild der Piraten ist eine Ordnung, die sowohl freiheitlich als auch gerecht als auch nachhaltig gestaltet ist.« Trotz vier neuer Programmpunkte weiß ich noch immer nicht, wo meine Partei genau steht. Da ruft Ponader von der Bühne zu uns hinunter: »Wir sind der 11. Bundesparteitag der Piratenpartei. Und wir sind Piraten!« Ist das vielleicht schon alles?
Wenn ich an diesem Novembersonntag wirklich noch auf etwas neugierig bin, dann auf die angekündigte Abstimmung über ein neues virtuelles Beschlussorgan für die Piratenpartei, das seit geraumer Zeit unter dem Schlagwort »Ständige Mitgliederversammlung« diskutiert wird. Die Befürworter hoffen, sie könnte bald permanente Online-Parteitage ermöglichen und damit zähe, chaotische Bundesparteitage wie diesen verhindern.
Spätestens seit gestern Abend ist diese »Ständige Mitgliederversammlung« bei vielen Piraten wieder im Gespräch – als Mittel gegen Parteitagsdebakel. Sogar der stellvertretende Parteisprecher Jörg Blumtritt warnt offen auf Twitter, der Bundesparteitag der Piraten sei zwar »großartig« für »Austausch und Vernetzung«, aber als »Parteiorgan völlig unbrauchbar«. Doch alle Versuche, den
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