Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
Fliegen?«
Stille. Wodjanik schwieg. Der denkt wahrscheinlich immer noch über die Reliktechsen nach, mutmaßte Iwan.
»Warum fahren wir nicht mit dem Auto hin?«, warf Kusnezow ein. »Es sind doch nur achtzig Kilometer, habt ihr gesagt.«
»Aha«, sagte Sterndeuter und rückte seine Brille zurecht. »Angenommen, du findest ein fahrtüchtiges Auto. Was machst du dann?«
Kusnezow freute sich, dass man ihn in das ernsthafte Gespräch einbezog.
»Ich setze mich rein und fahre los.«
»So, so. Du würdest nicht mal den Motor zum Laufen kriegen. Eine Autobatterie entlädt sich innerhalb von spätestens eineinhalb Monaten. Mit einer Handkurbel starten? Das geht nur bei Oldtimern. Aber selbst wenn wir davon ausgehen, dass du den Motor starten kannst. Was ist mit Benzin?«
»Äh … Benzin?«
Kusnezow kratzte sich am Kopf. Darüber hatte er anscheinend gar nicht nachgedacht.
»Laut Armeenorm ist Benzin fünf Jahre lang haltbar«, mischte sich plötzlich der Oberführer ein. »Danach sinkt die Oktanzahl ab, und es bildet sich ein Bodensatz. Kannste vergessen.«
»Am Ende wird es dickflüssig«, ergänzte Professor Wodjanik. »Selbst in geschlossenen Tanks gelagerten Treibstoff müsste man zumindest filtern, wenn nicht sogar destillieren, um ihn zu reinigen. Benzinreste in Autotanks dürften inzwischen eine geleeartige Konsistenz haben. Deswegen sind die Dieselgeneratoren der Sowjetarmee auch so unersetzlich. Die funktionieren nämlich auch noch mit dem miesesten Kraftstoff – und wo willst du heutzutage hochwertigen hernehmen? Die Dinger halten ewig und lassen sich mit primitivsten Mitteln reparieren. Versuch mal, kaputte Japaner wieder zum Laufen zu bringen. Zum Beispiel Generatoren von Honda. Eigentlich eine feine Sache: Du schüttest fünfzehn Liter Benzin rein und hast dreizehn Stunden am Stück Strom für die Beleuchtung. Super, oder?« Wodjanik grinste verschmitzt und zupfte an seinem Bart. »Das Problem ist nur: Du musst gutes Benzin reinschütten.«
So ausgelassen hatte Iwan den Oberführer schon lange nicht mehr erlebt. Er strahlte über das ganze Gesicht.
»Schau mal, Wanja, wen ich hier getroffen habe!«
Iwan drehte sich um. Der ältere Mann kam ihm bekannt vor. Nur seine Wangen waren befremdlich eingefallen. Hm. Wenn man ihn sich mit Glatze und etwas besser genährt vorstellte, dann war das doch …
»Der Graue?«
Der alte Skinhead lächelte.
»Stimmt.«
»Das Hauptproblem haben wir immer noch nicht gelöst«, sagte Iwan und sah seine Leute an. »Wie kommen wir nach Sosnowy Bor? Sterndeuter?«
Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf.
»Im Moment ist mir noch völlig schleierhaft, wie das gehen soll. Ich werde darüber nachdenken.«
»Ich habe eine Idee«, sagte Professor Wodjanik.
16 Die Argonauten
16
DIE ARGONAUTEN
»Wissen Sie, die alte Dampflok ist zwar einerseits eine Legende«, sagte Wodjanik. »Aber andererseits ist sie immer noch Realität.«
»Wovon sprechen Sie, Prof?«, fragte Iwan. »Von einem mythischen Geisterzug, der von nirgendwoher nach nirgendwohin fährt? In dem noch Licht brennt und Leute sitzen? Davon habe ich schon mal gehört.«
Der Professor runzelte die Stirn.
»Nein, das ist eine andere Legende. Kein Wunder, die Metro versinkt in Legenden. ›Die Mythen des alten Griechenland‹, Verlag Sowjetskaja Literatura , 1969, herausgegeben von Sokolowitsch …«
Iwan schüttelte den Kopf. Manchmal sprudelte das Wissen aus Wodjanik heraus wie aus einem undichten Schlauch. Sowjetskaja Literatura ? 1969?
»Prof«, sagte er. »Bitte fassen Sie sich kurz.«
»Selbstverständlich. Ich beginne mit einem Exkurs in die Geschichte …«
Mist. Iwan gab es auf. Der Professor war einfach unverbesserlich.
»Die Sowjetunion bereitete sich ernsthaft auf einen Atomkrieg vor«, schwadronierte Wodjanik. »Und generell auf einen Krieg. Eine der Folgen eines Kriegs sind Ausfälle bei der Stromversorgung. Durch den elektromagnetischen Impuls, der bei einer Kernexplosion entsteht, gehen elektrische Anlagen kaputt. Zur Ausschaltung der gegnerischen Stromversorgung gibt es übrigens spezielle Waffen, sogenannte Grafitbomben …«
»Prof!«
»Jaja, schon gut. Für einen solchen Fall wurde seinerzeit angeordnet, in jedem Eisenbahndepot eine Dampflok bereitzuhalten. Eine richtige, mit Kohle befeuerte Dampflok. Stellt euch mal vor: Ein Atomkrieg. Die Stromversorgung ist lahmgelegt. Treibstoff für Dieselloks – Fehlanzeige. Wir nehmen Holz oder Kohle, tanken Wasser und tuckern mit einer
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