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Pittys Blues

Pittys Blues

Titel: Pittys Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Gaebel
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um Dick alles immer schneller drehte und durch die Rotation immer vollständiger wurde, wirbelte auch in ihm etwas neu zusammen.
    Er sah alles genau vor sich. Zum zweiten Mal, seitdem Pitty da war, war nichts mehr so, wie Dick es kannte.
    «Ich will wissen, warum», presste er zwischen den Zähnen hervor. Er musste das Karussell in seinem Kopf mit Gewalt anhalten.
    Mit neuer Ordnung um sich herum würde Dick sich selbst wieder auf eine Reihe bringen, auf der er gut balancieren
konnte. Balancieren. Das war wichtig. Tulipe hatte ihnen an diesem Morgen nicht alles gesagt.
    Dick konnte nicht sagen, ob es eine männliche oder weibliche Stimme war, die mit ihm redete, er konnte Pittys Gesicht nicht mehr erkennen. Alles, was er sah, war der Schnee vor seinen Augen, der immer dichter aus dem immer grauer und dunkler werdenden Himmel fiel.
    Er sah, wie die Schneeflocken tanzten, wie sie vom Wind weitergetrieben wurden, wie sie still und reglos in der Luft verharrten. Er sah, dass die weißen Flocken vor weißen Wolken schwarz wurden, vor dunklen Türmen weiß. Er sah, wie sich Helligkeit und Dunkelheit abwechselten, und er sah, dass es kein Ende gab, dass dieser Himmel unendlich voll war mit Flocken, mit Wasser, mit Stürmen und Kälte und allen anderen Stimmungen.
    Und er sah, wie er sich vorbeugte und kotzte. Ganz langsam. Erst spürte er ein leicht flaues Gefühl eben an der Stelle, an der Pittys Worte ihn gepackt hatten, und dann kam auch schon alles aus ihm raus, was er im Magen hatte - was zum Glück nicht viel war, da Dick außer Kaffee nichts zu sich genommen hatte.
    Der Nachmittag wurde immer dunkler.
    Dick erzählte später, dass er für einen Moment gedacht hatte, er würde verrückt werden. Es brandete eine Welle von Geräuschen, Stimmen an ihn heran.
    Und dann sah er sie durch den Schnee auf sich zukommen, sah, wie sie lachten und ihn anblickten. Die Menschen, zu denen er keinen Zugang mehr fand, weil
sie nicht mehr bei ihm waren, weil er nicht zu ihnen kommen konnte, weil er ihnen nicht in die Augen sehen konnte. Er sackte auf den kalten Boden, seine Hose sog jeden Tropfen Feuchtigkeit auf und wurde steif. Die Kälte ließ Dicks Haut knallrot werden und seine kleinen Härchen sich schmerzend aufstellen, ihm brach kalter Schweiß aus. Sie kamen nicht näher, er flehte sie an, er öffnete seine Arme und spürte ein weiches Liebkosen an seiner Wange. Ein Streicheln, das sich mit seinen Tränen mischte, das ihm die letzte Selbstbeherrschung raubte.
    Dick war die Jahre über von seiner Wut auf sich selbst, von seiner Angst und seinen Vorwürfen aufrechtgehalten worden, und nachdem er alles in das Blech seiner Schrottkarre geprügelt hatte, war nichts mehr für ihn übrig geblieben, und sein Gerüst krachte in sich zusammen.
    Und mit einem Mal war er wieder normal, wischte sich seine laufende Nase am Jackenärmel ab.
    «Ich kann das nicht. Pitty, es tut mir leid, aber ich muss, ich kann nicht auch noch diese Sache mit dir...»Er rappelte sich auf.«Ich muss hier weg.»Sein Magen knurrte:«Und ich habe Hunger.»
    «Ich auch.»
    Und während Pitty und Dick den Weg zum Diner einschlugen, fand Pitty, dass sie ganz zufrieden mit sich und der Entwicklung der Situation sein konnte.
     
    Vera tischte anständig auf, dafür war sie bis über die Stadtgrenzen hinaus berühmt. Wer bei ihr nicht satt
wurde, war entweder ein erklärter Feind ihres Diners oder selbst schuld. Sowohl das eine als auch das andere war nahezu unmöglich. Erstens, weil Vera demjenigen, der drohte, nicht satt zu werden, das Essen lieber selbst in den Schlund stopfte, als ihn hungrig vor die Tür zu lassen, und zweitens, weil Vera keine Feinde hatte. Basta. Es gab eigentlich auch niemanden, der bei Vera nicht alles verschlang, was auf dem Teller landete, und kugelrund wieder rausmarschierte, so sah es aus.
    Ihr Barbecue war einzigartig. Was würde ich darum geben, das Rezept zu kennen, aber das hat dieser vermaledeite Koch mit ins Grab genommen. Bestimmt hundert Mal habe ich ihn danach gefragt, und er hat seine Unterlippe in den Mund gesogen, kurz mit den Augen gerollt und mir hochnäsig gesagt, dass kein Koch, der was auf sich hält, ein Rezept verrät. Blasierter Arsch. Soll er doch in der Hölle schmoren.
    Niemand hatte seit dem Morgen des Vortags daran gedacht, auch nur eine Mahlzeit oder einen Kaffee bei sich zu Hause einzunehmen. Zum einen, weil man ja etwas hätte verpassen können, zum anderen, weil das Wetter einem Angst und Bange machen konnte,

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